1.
Ich verschwand an jenem Sonntag, an dem mein Bruder achtzehn wurde.
Eigentlich begann der Tag ganz gut. Als ich die Treppe hinunter ging, roch es nach Kaffee und ein bisschen nach angebrannten Semmeln. Deshalb nahm ich an, dass Paps mit Frühstück machen dran war. Aufbacksemmeln sind nicht so sein Ding, aber zum Bäcker will er auch nicht fahren.
Im Wohnzimmer war der Tisch schon gedeckt, in der Mitte standen Tulpen, die mich daran erinnerten, was heute für ein Tag war. Rafaels Geburtstag. Ab heute konnte er tun und lassen, was er wollte, und als Erstes würde er vermutlich die Blumen vom Tisch entfernen, wenn man ihn ließ. Er ist mehr der anti-florale Typ.
Unter dem Tisch lag Timba. Ihre Pfoten sahen aus, als wäre sie schon draußen gewesen und hätte den halben Garten umgegraben, was Mum einem Schreikrampf nahebringen würde, der Unterhaltung versprach. Andererseits war heute ein besonderer Tag und da musste manüber Dinge wie schmutzverschmierte Teppiche eben hinwegsehen können.
„Guten Morgen!“ Mum kam ins Zimmer, noch im Bademantel. Die Kaffeekanne in der Hand lächelte sie mich an.„Willst du den Großen mal aufwecken gehen?“
Ich ging also hinauf und klopfte. Natürlich kam keine Antwort, also ging ich hinein und zog meinem Bruder die Decke weg.
Rafael schnaufte unwillig, ohne sich einen Zentimeter zu bewegen.
„Was ist?“, murmelte er.
„Mum hat deine Zigaretten gefunden.“
Sofort saß er aufrecht im Bett und starrte mich an.„Was?“
Ich grinste.„War nur ein Scherz.“
„Dummes Huhn. Außerdem kann sie die gar nicht finden.“
„Moment mal“, sagte ich.„Du rauchst doch nicht wirklich, oder? Rafael?“
Jetzt war er es, der mich angrinste, allerdings ohne eine Antwort zu geben. Stattdessen warf er einen Blick auf die Uhr und gleich darauf ein Kissen nach mir.
„Halb zehn? Vergiss es!“ Damit ließ er sich wieder in die Kissen fallen und schloss die Augen.
„Okay, bitte. Ist nur dein Geburtstag. Du kannst ihn aber auch gerne verschlafen, ich hab sowieso nichts für dich.“
Das stimmte nicht, ich hatte Konzertkarten fürWho is who besorgt, Rafaels Lieblingsband. Die Karten hatten mein ganzes Taschengeld vom letzten Monat verschlungen und das hatte ich nur aus drei Gründen zugelassen.
Erstens, weil ich eine nette kleine Schwester bin. Zweitens, weil sein Freund Yannik auch mitkommen würde und drittens– und das ist der weitaus wichtigste Grund– weil Bibi aus der Achten auch mit dabei sein würde. Bibi verbringt die Hälfte des Tages mit Kichern und die andere wahrscheinlich mit Lästern. Sie hat zwei lange schwarze Zöpfe und ist von Kopf bis Fuß sonnengebräunt.
Und sie war der derzeitige Schwarm meines Bruders. Rafael wäre also mit Sabbern beschäftigt und irgendwann würde er mit Bibi lieber allein sein wollen. Dabei würde es ihm vielleicht nicht einmal auffallen, wie recht mir das