»Derältere Ludwig ist der gescheiteste,
sein Bruder Leopold der treuherzigste,
der jüngere Ludwig der schönste,
Otto der lieblichste.«
König Ludwig I.
1 Prinz aus königlichem Hause
Mitte der 1840er-Jahre wartete das bayerische Königshaus noch immer auf seine Enkelgeneration, welche die Thronfolge fortführen und den Bestand der Dynastie sichern sollte. König Ludwig I., der beinahe sein 60. Lebensjahr erreicht hatte, regierte seit etwa zwei Jahrzehnten. Kronprinz Maximilian (1811–1864), derälteste Sohn des Monarchen, war in seiner Ehe mit der preußischen Prinzessin Marie bislang noch ohne den erhofften Nachwuchs. Sein jüngerer Bruder Otto (1815–1867), der es zum König von Griechenland gebracht hatte, sollte in seiner Ehe gänzlich kinderlos bleiben. Luitpold (1821–1912), der drittälteste Sohn des Königs, hatte 1844 im Dom von Florenz Erzherzogin Auguste vonÖsterreich geheiratet. Der naturbegeisterte Prinz gewann durch seine gesellige Art schnell die Herzen der Menschen. Seine Gattin, eine Tochter des Großherzogs von Toskana und Großnichte des Kaisers Franz I. vonÖsterreich, wurde von der Bevölkerung ebenfalls geliebt. Die selbstbewusste und bildschöne Prinzessin sollte jedoch zeitlebens an einem Lungenleiden laborieren. Zur Freude der königlichen Familie kündigte sich im Hause Luitpold bald der erste Nachwuchs an. In den Mittagsstunden des 7. Januar 1845 kam in den Kurfürstenzimmern der Münchner Residenz ein Knabe zur Welt– und damit der erste königliche Enkel und potenzielle künftige Thronfolger Bayerns. In dessen Ahnentafel fanden sich etliche prominente Namen der Wittelsbacher, Habsburger, Wettiner und Bourbonen, etwa derjenige seiner Ur-Ur-Urgroßmutter Maria Theresia vonÖsterreich.
Abb. 2: Die Familie des Prinzen Luitpold: hintere Reihe (v. l.): Leopold, Luitpold und Ludwig; vordere Reihe: Therese, Auguste und Arnulf.– Fotografie, um 1855.
Zwei Prinzen namens Ludwig
König Ludwig I. unterhielt sich gerade mit seinem Hofarchitekten Friedrich von Gärtner an der Baustelle des Münchner Siegestores, als er die Nachricht erhielt, die Geburt seines Enkels sei glücklich verlaufen, der Prinz sei»wohl gebildet […] und gesund«. Am Tag nach der Geburt sollte die Taufe stattfinden. Die Namensgebung begeisterte den königlichen Großvater, der zugleich auch Taufpate war:»Der jüngste Wittelsbacher wird heute um drei Uhr im Thronsaal, umgeben von zwölf Standbildern ausgezeichneter Ahnen, in der heiligen Taufe den Namen Ludwig erhalten.« Die feierliche Zeremonie wurde vom Erzbischof von München und Freising, Lothar Anselm von Gebsattel, durchgeführt. Der Prinz sollte mit vollem Namen Ludwig Leopold Joseph Maria Aloys Alfred heißen. Geladen waren neben dem diplomatischen Corps mit Gattinnen auch der gesamte Hofstaat sowie das Offizierscorps.
Kurze Zeit später jedoch schien es, dass der Prinz die Krone wohl doch niemals erben würde: Das bislang kinderlose Kronprinzenpaar Maximilian und Marie erwartete, nachdem sich bei der Kronprinzessin Anfang 1845 erste Anzeichen einer Schwangerschaft eingestellt hatten, im Sommer ebenfalls Nachwuchs. Marie wurde am 25. August von einem Sohn entbunden, der ebenfalls auf den Namen des königlichen Großvaters getauft wurde: Ludwig. Dieser Prinz, der in der Thronfolge näher an der Krone stand als sein einige Monate zuvor zur Welt gekommener gleichnamiger Vetter, sollte als»Märchenkönig« Ludwig II. (1845–1886) in die Geschichte eingehen.
Für die Familie des Prinzen Luitpold war die Krone wieder in weite Ferne gerückt. Es sah im Jahr 1845 so aus, als würde die Erbfolge der Wittelsbacher von König Ludwig I. auf seinen Sohn Maximilian, dann auf dessen Sohn Ludwig und eines Tages auf dessen künftige Nachkommenübergehen. Prinzessin Auguste war sich bewusst, was die Geburt ihres Neffen für ihren eigenen Sohn bedeutete. Der Hofsekretär Freiherr von Pfistermeister erzählte später, die ehrgeizige Prinzessin habe ihr Kind aus der Wiege geholt und ihm enttäuscht gesagt:»Ludwig, bisher warst du etwas, jetzt bist du nichts mehr.« Aus dem Prinzen wurde schließlich wider Erwarten doch noch ein König von Bayern: Ludwig III. Er sollte den Thron allerdings erst im Jahr 1913 besteigen.
Kindheit und Erziehung
Die Eltern des Prinzen Ludwig bekamen noch drei weitere gesunde Kinder: Leopold (1846), Therese (1850) und Arnulf (1852). Das Kronprinzenpaar freute sich ebenfallsüber erneuten Nachwuchs, als Prinz Otto (1848) geboren wurde. Der Großvater Ludwig I. wagte 1850 in einem Brief eine Charakteristik seiner Enkel:»Derältere Ludwig ist der gescheiteste, sein Bruder Leopold der treuherzigste, der jüngere Ludwig der schönste, Otto der lieblichste.« Die Kindheits- und Jugendjahre der Prinzen und der Prinzessin verliefen parallel. Das ausgesprochen strenge Erziehungsprogramm war auf ch