»Stellen Sie sich vor, wie sie jemandes Bewegungen– oder Reglosigkeit– ohne Wissen jener Person interpretieren.«
Joseph Brodsky
Der Anstand (Takt) zu schweigen, auch wenn manweiß und leidet an dem,was man weiß.
Die davon leben, daß sie»bedeutende« Leute kennen, dies auch gerne anführen im Gespräch. Die viele kennen, erkennen selten die wenigen, die sich aus»guten Beziehungen« zurückziehn zugunsten von zwei, drei verbindlichen Freundschaften.
Gesellschaft und Vergesellschaftung: dem andern bist du ein Gerücht, ein evtl. einzusetzender, Erfolg versprechender Faktor (Macher), mehr nicht. Gerüchte sind der trübe Schaum entstellter Wahrheiten.
Dezemberschlaf. Von Kopf bis Fuß spüren, wie der Schlaf auf die Schwelle tritt, hinter sich die offene Türe in ein Dunkel, vor dem ich mich nicht fürchte. Indes er sich nähert, senken sich die Lider, nehme ich mich zurück, werde ich zurückgenommen, nimmt die Leuchtkraft der Nachtlampe ab, das Licht verglimmt wie ein Stern,über den eine erst durchsichtige, dann dichte Wolke kommt. Es dämmert,»wird Nacht im Haus«, langsamer zieht der Strom, verschwindet unter der Erde, ist ein Grundwasserstrom, ein silbernes Wasser in einem fremden Land, noch blinken einzelne Kiesel, funkelt ein Gedanke auf, glitzert eine Schuppe. Es sind nicht Körner, die der Sandmann streut, Flaum flockt aus seinen lautlos wehendenÄrmeln, lauer grauer Schnee schneit mich ein, gelassener pocht das Herz, tiefer lotet der Atem, am längsten wach bleibt die Stelle, der Brennpunkt im Hirn, wo, fern dem ruhenden Rumpf, den wie in einem Mutterwasser gelösten, vom Bewußtsein abgelösten Gliedern, etwas nach einem Satz sucht, einem Wort sucht, Wort sucht… das Wort findet, das zurückgleitet, abwärts einwärts, um eingesogen, ausgewischt zu werden. Am Rand der Ebene treten meine Toten ins Bild, gehen im Schnee, die Ebene bebt. Unter den Lidern dreht sich der Himmel. Aurora borealis; dann ein elektrischer Schlag. Der Flügel des Schlafs hat mich berührt.
Der Schmerz. Eine gezielte, eine zentrale seelische Verletzung entwurzelt den Betroffenen und bewirkt, wird der Schmerz nicht in absehbarer Zeit bewältigt, eine Verstörung des Gemüts, die sich zu einer Art Schuldgefühl verzerren kann. Man weiß schon nicht mehr, hat der andere, hat man selbst gefehlt. Die Ursache, die den Schmerz auslöste, geht vergessen. Vereinheitlichendes Dunkel schwärzt was immer ein und läßt jeden Gegenstand als bedrohlich und jeden Menschen als Feind oder Fremden erscheinen. (Der Wahnsinn, der von ihrem Geliebten verlassenen Mademoiselle H.; face en face erkennt sie ihn nicht mehr. Im Trauma des Schmerzes hat sich das Bild des Vermißten getrübt oder verklärt bis zur Abspaltung vom wirklichen Menschen. Keine Realität vermag eine idée fixe zu korrigieren.)
Jeder tiefste Schmerz konfrontiert den Heimgesuchten mit dem eigenen Schatten, doch:…»ogni cosa nel dolore / Ha una speranza strana.« Silvio Aman.
»Was hört denn nicht mit Schmerzen auf.«