EINLEITUNG
«Ich kann nicht mehr sagen, meine Liebe oder deine Liebe; beyde sind sich gleich und vollkommen eins, so viel Liebe als Gegenliebe. Es ist Ehe, ewige Einheit und Verbindung unserer Geister, nicht blos für das was wir diese oder jene Welt nennen, sondern für die eine wahre, untheilbare, unendliche Welt.»[1] Dieser emphatischen Ineinssetzung von Liebe und Ehe in Friedrich Schlegels RomanLucinde aus dem Jahr 1799 wird zu Beginn des 21. Jahrhunderts kaum noch jemand zustimmen wollen. Die Geschichte der Ehe ist mit der Geschichte der Liebe verflochten, aber nicht mit ihr identisch. Während Liebe ein Lebensziel geblieben ist, steht nicht erst in letzter Zeit die Ehe stark in der Kritik. Die jüngsten Debatten in Deutschland und Europa um das Ehegattensplitting, die Ehe und das Adoptionsrecht für Homosexuelle und die deutliche Zunahme von Ehescheidungen wie von nichtehelichen Familienformen zeigen an, dass die Ehe nicht mehr für alle erstrebenswert ist, die Auseinandersetzung um sie aber weltanschauliche Züge trägt. Konservative Verteidigung und progressive Forderung nach Abschaffung konkurrieren in den Medien. Heute geht es allerdings weniger als in den siebziger Jahren um das Ende des Lebensmodells Ehe als vielmehr um ihre Erweiterung, um ihreÖffnung insbesondere für homosexuelle Paare. Und dies ist kein westeuropäisch-nordamerikanischer Sonderweg, sondern die Diskussion findet beinaheüberall auf der Welt statt. Für solche aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten soll mit diesem Buch eine historische Grundlage geschaffen werden.
Liebe, jedenfalls eine emotionale Neigung, stand in der Vergangenheit und steht meist auch in der Gegenwart am Anfang einer Ehe. Zwar spielten auch andere Faktoren eine Rolle, soziale, kulturelle undökonomische, aber im 19. Jahrhundert wie heute wurden aus Liebespaaren nicht selten Ehepaare. In der Wahl des Partners gab die Neigung den Ausschlag. Die Eltern hatten wenig Einfluss. In den gehobenen Schichten spielte der Gedanke der Parität durchaus eine Rolle; Eltern wünschten für ihre Kinder eine gute Partie, wenn möglich, sozialen Aufstieg. Die Mehrheit der Bürgerkinder konnte aber immerhin aus mehreren Kandidaten und Kandidatinnen auswählen.
Seit dem späten 18. Jahrhundert orientiert sich in der westlichen Moderne die Beziehung der Geschlechter zunehmend an Werten wie Rechtsgleichheit und Individualität. Einen einheitlichen Entwurf der Ehe als Geschlechterverhältnis gab es im 18. Jahrhundert ebenso wenig wie im 20.– und in der Gegenwart erst recht nicht. Trotzdem bleibt die Ehe in ihrer rechtlichen Verbindlichkeit auch heute noch von anderen Lebensgemeinschaften unterschieden. Die Pluralisierung von Lebensmodellen, welche die Soziologie für die Jahrzehnte nach 1945 herausgestellt hat, begann nicht erst in der Nachkriegszeit, sondern mit den Ehedebatten der Romantik am Anfang des 19. Jahrhunderts, aber liegt auch in der Zunahme der Erwerbstätigkeit von Ehefrauen seit 1900 und den neuen Vorstellungenüber Partnerschaft in der Ehe der zwanziger Jahre begründet.
Eine der wichtigsten Entwicklungen der Ehe in Deutschland betrifft ihre Zugänglichkeit. In der Frühen Neuzeit bis weit ins 19. Jahrhundert hinein war die Ehe vielfach ein rechtliches und soziales Privileg. Besitzlose Bevölkerungsgruppen, Soldaten oder Zuwanderer aus anderen Staaten stießen auf rechtliche Hindernisse. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, mit dem Höhepunkt im Nationalsozialismus, verhinderte der Staat Ehen aus rassisch-eugenischen Gründen;übrigens war das nicht nur in Deutschland so. In den fünfziger und sechziger Jahren dann erlebte die Ehe in vielen westlichen Ländern ihr«goldenes Zeitalter», zumindest, was ihre Verbreitun