JAGO, PETER UND DER HUNDSSTERN DIE VERLORENEN SÖHNE
Peter war nicht immer Peter gewesen. Bis zu dem Tag am Strand von Lyme Regis, als seine Mutter den englischen Lehrer kennengelernt hatte, hatte er sich als Pietro gekannt, obwohl seine Großmutter ihn immer Pierre gerufen hatte.
Bis zu seinem sechsten Lebensjahr hatte er mit seiner Mutter allein im Dachgeschoss eines hohen grauen Mietshauses in Paris gewohnt, fünf Minuten vom Jardin du Luxembourg. Nach dem Umzug hatte er sich zunächst große Mühe gegeben, nicht mehr daran zu denken, nicht weil ihm die Zeit dort nicht lieb gewesen wäre, sondern weil er, gezwungenermaßen, gewissenhaft danach strebte, Engländer zu werden. In der Französischstunde in der Schule sprach er annehmbar Französisch, aber nicht so fließend, dass seine Mitschüler auf die Idee kommen konnten, ihn wieder»Grenouille« oder»Mist-jöh Jérémie Pêche-à-ligne« zu nennen.
Er erinnerte sich daran, dass er in einer Art begehbarem Schrank in der Dachschräge neben dem Schlafzimmer seiner Mutter geschlafen hatte– ein dreieckiges tobleroneschachtel-förmiges Prisma, welches so klein war, dass seine Matratze den ganzen Fußboden eingenommen hatte. Wochenends hatte er seine Spielsachen auf dem Fußboden im Schlafzimmer seiner Mutter ausgebreitet, auf einem blassgrauen Teppich. Er erinnerte sich daran, dass seine fünf Plüschtiere auf der Fensterbank im Schlafzimmer seiner Mutter gewohnt hatten und dass dahinter ein Labyrinth aus grauen Schieferdächern zu sehen gewesen war. Tauben warenüber die Dachfirste stolziert, und manchmal hatte er zugeschaut, wie sie von einer trittsicheren gescheckten Katze gejagt wurden.
Er wusste, dass sein verstorbener Vater Rennfahrer gewesen war, aber es war– für ihn als einen Menschen, der dem Himmel näher war als der Erde– ein kleiner Schritt gewesen, ihn in seiner Phantasie in einen Piloten umzuwandeln, der eines Nachts in einem Doppeldeckerüber die Dächer fliegen und sich, wie die Tauben, auf einem Dachfirst niederlassen würde. Peter zitterte bei dem Gedanken, dass sein Vater mit der großen Fliegerbrille unaufhaltsam auf sein Fenster zuschritt und hereingeklettert kam wie Peter Pan.
Er hatte Angst vor Peter Pan. Er hatte Angst davor, dass sein Vater wiederkommen könnte. Er hatte Angst davor, dassle père Noël durch den Schornstein kommen könnte. Er hatte vor fast allem Angst, außer vor seiner Einsamkeit. Er empfand die Sterne als zufriedenstellende Freunde. Als Einzelkind, als Stubenkind, als Dachstubenkind stand er in gutem Kontakt mit den Sternen. Er wusste, dass das Sonnensystem, das unserem am nächsten liegt, 1.600.000 Lichtjahre weit entfernt war und dass man die Zahl auch als 16× 105 schreiben konnte. Er wusste, dass die Araber das Astrolabium erfunden hatten. Er wusste, dass die Sterne große leuchtende Gaskugeln waren und dass junge Sterne sichüber Millionen von Jahren zu Roten Riesen und Weißen Zwergen entwickelten. Er kannte die Zwillinge und den Widder und den Großen Bären und den Kleinen Bären. Er kannte die Geschichte von Ariadnes Krone. Er wusste, dass die Venus der Morgen- und der Abendstern war. Er kannte Sirius, den Hundsstern. Er wusste, dass die beiden Sterne so weit voneinander entfernt waren, dass die Entfernung nur in unvorstellbaren Welleneinheiten gemessen werden konnte. Er wusste, dass Distanz etwas Gutes war.
An dem Tag im April, der alles veränderte, war Peter am Strand von Lyme Regis, wo er mit seiner Mutter Tennis spielte. Er hatte sie zu einem Fototermin dorthin begleitet, weil er nicht bei seiner Großmutter bleiben konnte. Sie hatte kü