: Ödön von Horvath
: Der ewige Spießer Erbaulicher Roman in drei Teilen
: Null Papier Verlag
: 9783954184729
: 99 Welt-Klassiker
: 2
: CHF 0.90
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 180
: kein Kopierschutz/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
»Der ewige Spießer« ist der erste Roman von Ödön von Horváth und wurde 1930 verfasst. In klarer Sprache und losen Episoden zeichnet der Autor die sich kreuzenden Lebenswege mehrerer Figuren in einer kleinbürgerlichen Gesellschaft nach. Diese gibt sich nur nach außen edel, aber in ihrem Inneren ist sie rein auf Vorteil und Eigennutz bedacht: Die Handlung spielt während der Weltwirtschaftskrise nach dem Ersten Weltkrieg. Der arbeitslose Alfons Kobler zum Beispiel nutzt sein gutes Aussehen, um sich von älteren Damen aushalten zu lassen und in die gute Gesellschaft aufzusteigen. Die Näherin ohne Anstellung Anna Pollinger beschließt »praktisch« zu werden und sich prostituieren zu lassen. Der reiche Harry Priegler, Sohn eines Kriegsgewinnlers, soll ihr erster Kunde sein. Des Weiteren treten auf: verkommene Adlige, als Künstler gescheiterte Intellektuelle und andere, zeitlose Spießerfiguren. Null Papier Verlag

Ödön von Horváth (1901 - 1938) war ein auf Deutsch schreibender österreichisch-ungarischer Schriftsteller. Bekannt wurde er unter anderem durch seine Stücke »Geschichten aus dem Wiener Wald«, »Glaube Liebe Hoffnung« und »Kasimir und Karoline« sowie durch seine zeitkritischen Romane »Der ewige Spießer«, »Jugend ohne Gott« und »Ein Kind unserer Zeit«.

8


Der D-Zug, der den Ko­b­ler bis über die deut­sche Gren­ze brin­gen soll­te, fuhr pünkt­lich ab, denn der Herr mit der ro­ten Dienst­müt­ze hob pünkt­lich den Be­fehls­stab. »Das ist die deut­sche Pünkt­lich­keit!« hör­te er je­man­den sa­gen mit han­no­ver­schem Ak­zent.

Da stand auf dem Bahn­steig un­ter an­de­ren eine jun­ge Kauf­manns­gat­tin und wink­te be­geis­tert ih­rem Gat­ten im vor­de­ren Wa­gen nach, der in die Frem­de fuhr, um dort einen an­de­ren Kauf­mann zu über­vor­tei­len.

Ko­b­ler dräng­te sich da­zwi­schen. Er beug­te sich aus dem Fens­ter und nick­te der jun­gen Frau gnä­dig zu. Die ver­zog aber das Ge­sicht und mach­te eine weg­wer­fen­de Hand­be­we­gung. Jetzt är­gert sie sich, freu­te sich Ko­b­ler und muß­te an das Fräu­lein Pol­lin­ger den­ken. Auch Anna wird sich jetzt är­gern, dach­te er wei­ter, es ist näm­lich grad acht, und da be­ginnt ihr Büro. Ich würd mich auch är­gern, wenn jetzt mein Büro be­gin­nen tät, es geht doch nichts über die Selb­stän­dig­keit. Was wär das für ein Un­glück, wenn alle Leut An­ge­stell­te wä­ren, wie sich das der Mar­xis­mus aus­malt -- als An­ge­stell­ter hät­te ich mich doch nie­mals so an­ge­strengt, den Port­schin­ger zu be­trü­gen. Wenn das Ka­brio­lett Staats­ei­gen­tum ge­we­sen wär, hätt ich’s halt ein­fach ein­schmel­zen las­sen, wie sich’s ei­gent­lich ge­hört hätt. Aber durch die­se dro­hen­de So­zia­li­sie­rung wür­den halt vie­le Wer­te brach­lie­gen, die sich noch ver­wer­ten lie­ßen. Das wär nicht an­ders, weil halt die per­sön­li­che Ini­tia­ti­ve zer­stört wär. Er setz­te sich scha­den­froh auf sei­nen Fens­ter­platz und fuhr stolz durch die tris­ten Vo­r­ort­bahn­hö­fe, an den Vo­r­ort­rei­sen­den vor­bei, die ohne jede Be­we­gung auf die Vo­r­ort­zü­ge war­te­ten. Dann hör­te die Stadt all­mäh­lich auf. Die Land­schaft wur­de im­mer lang­wei­li­ger, und Ko­b­ler be­trach­te­te ge­lang­weilt sein Ge­gen­über, einen Herrn mit ei­nem ener­gi­schen Zug, der sehr in sei­ne Zei­tung ver­tieft war. In der Zei­tung stand un­ter der Über­schrift »Nun erst recht!«, daß ein Deut­scher, der sagt, er sei stolz, daß er ein Deut­scher sei, denn wenn er nicht stolz wäre, wür­de er ja trotz­dem auch nur ein Deut­scher sein, also sei er na­tür­lich stolz, daß er ein Deut­scher wäre -- »Ein sol­cher Deut­scher«, stand in der Zei­tung, »ist kein Deut­scher, son­dern ein As­phalt­deut­scher.«

Auch Ko­b­ler hat­te sich mit Rei­se­lek­tü­re ver­sorgt, näm­lich mit ei­nem Ma­ga­zin. Da schul­ter­ten im Schat­ten fo­to­mon­tier­ter Wol­ken­krat­zer ein Dut­zend Mäd­chen ihre Bei­ne, als wä­ren’s Ge­weh­re, und dar­un­ter stand: Der Zau­ber des Mi­li­ta­ris­mus, und daß es ei­gent­lich also ge­spens­tisch wir­ke, daß Girls auch Köp­fe hät­ten. Und dann sah Ko­b­ler auch noch ein gan­zes Ru­del weib­li­cher Schön­hei­ten -- die eine stand auf ei­ner dres­sier­ten Rie­sen­schild­krö­te und lä­chel­te sinn­lich. Sonst hat­te er kei­ne Lek­tü­re bei sich.

Nur noch ei­ni­ge Wör­ter­bü­cher, ganz win­zig be­druck­te mit je zwölf­tau­send Wör­tern. Deutsch-Ita­lie­nisch, Français-Al­le­mand, Deutsch-Fran­zö­sisch, Español-Ale­man usw. Auch eine Bro­schü­re hat­te er sich zu­ge­legt mit Re­dens­ar­ten für den Rei­se­ge­brauch in Spa­ni­en (mit ge­nau­er An­ga­be der Auss­pra­che), her­aus­ge­ge­ben von ei­nem Stu­di­en­rat in Er­furt, des­sen Toch­ter im­mer noch hoff­te, von ei­nem rei­chen Deutschar­gen­ti­ni­er ge­hei­ra­tet zu wer­den, der ihr dies in der In­fla­ti­on mal ver­spro­chen hat­te. Nun be­klag­te der Stu­di­en­rat in der Ein­lei­tung, es sei tief be­trüb­lich, daß man in deut­schen Lan­den so we­nig Spa­nisch ler­ne, wo doch die spa­ni­sche Welt arm an In­dus­trie sei, wäh­rend sie uns Deut­schen die man­nig­fachs­ten Na­tur­pro­duk­te lie­fe­re. Die­se Tat­sa­chen wür­den von der jun­gen Han­dels­welt noch lan­ge nicht ge­nü­gend ge­wür­digt. Und dann zähl­te der Stu­di­en­rat die Län­der auf, in de­nen Spa­nisch ge­spro­chen wird: zum Bei­spiel in Spa­ni­en und in La­tein­ame­ri­ka, ohne Bra­si­li­en.

Ko­b­ler las: Ich bin hung­rig, durs­tig. Ten­go ham­bre, sed. Auss­pra­che: ten­go am­br­re, ßed. Wie heißt das auf spa­nisch? Cómo se lla­ma eso en cas­tel­la­no? Auss­pra­che: komo ße lja­ma ehßo en kas­tel­ja­no? Wol­len Sie freund­lichst lang­sa­mer spre­chen? Ten­ga ustéh la bon­dêd de ab­lêrr mêss de­spês­zio? Wie­der­ho­len Sie bit­te das Wort. Sie müs­sen et­was lau­ter spre­chen. Er führt eine stol­ze Spra­che, aber er drückt sich gut aus. Kof­fer­trä­ger, be­sor­gen Sie mir mein Ge­päck. Ich habe einen großen Kof­fer, einen Hand­kof­fer, ein Plaid und ein Bund Stö­cke und Re­gen­schir­me. Ist das dort der rich­ti­ge Zug nach Fi­guer­as? Ge­ben Sie mir tro­ckene Bett­wä­sche. Bit­te Zwie­beln. Jetzt ist sie rich­tig. Seit län­ge­rer Zeit ent­beh­ren wir Ihre Auf­trä­ge. Was bin ich schul­dig? Sehr wohl, mein Herr, ich blei­be al­les schul­dig. Was ha­ben Sie? Nichts. Wol­len Sie zah­len? Nein. Sie wol­len nicht zah­len? Nein. Es scheint, daß Sie mich ver­stan­den ha­ben. Auf Wie­der­se­hen also! Grü­ßen Sie Ihre Frau Ge­mah­lin (Ihren Herrn Ge­mahl)! Tau­send Dank! Glück­li­che Rei­se! Gott schüt­ze Sie!

»Was le­sens denn da?« hör­te er plötz­lich sei­nen Nach­bar fra­gen, der dem Herrn Port­schin­ger ähn­lich sah. Er hat­te be­reits seit ei­ni­ger Zeit miß­trau­isch in das Werk des Er­fur­ter Stu­di­en­rats ge­schielt. Er hieß Thi­mo­teus Bschorr. »Ich fahr nach Bar­ce­lo­na«, er­wi­der­te Ko­b­ler la­ko­nisch und war­te­te ge­spannt auf den Er­folg die­ser Wor­te. Sein Ge­gen­über mit dem ener­gi­schen Zug hob ruck­ar­tig den Kopf, starr­te ihn haß­er­füllt an und las dann zum zwan­zigs­ten­mal die De­fi­ni­ti­on des As­phalt­deut­schen. In der Ecke saß noch ein drit­ter Herr, aber auf den schie­nen Ko­b­lers Rei­se­plä­ne gar kei­nen Ein­druck zu ma­chen. Er lä­chel­te nur müde, als wäre er be­reits ei­ni­ge­mal um die Erde ge­fah­ren. Der Kra­gen war ihm zu weit.

»Als­dann fah­rens nach Ita­li­en«, kon­sta­tier­te der Herr Bschorr phleg­ma­tisch.

»Bar­ce­lo­na liegt be­kannt­lich in Spa­ni­en«, mein­te Ko­b­ler über­le­gen.

»Des is gar net so be­kannt­lich!« er­ei­fer­te sich der Bschorr. »Be­kannt­lich hätt i gschworn, daß des Bar­ce­lo­na be­kannt­lich in Ita­li­en liegt!«

»Ich fahr durch Ita­li­en nur le­dig­lich durch«, sag­te Ko­b­ler und streng­te sich an, ge­nau nach der Schrift zu spre­chen, um den Thi­mo­teus Bschorr zu rei­zen. Aber der ließ sich nicht. »Da wer­dens lang brau­chen nach Bar­ce­lo­na hin­ter«, mein­te er stumpf. »Sehr lang. Da be­neid ich Sie scho gar net. Über­haupts muß Spa­ni­en recht drecket sein. Und eine hei­ße Zone. Was ma­chens denn in Ma­drid?«

»Ma­drid wer­de ich links lie­gen­las­sen«, er­klär­te Ko­b­ler. »Ich möcht nur mal le­dig­lich das Aus­land se­hen.«

Bei die­sen Wor­ten zuck­te sein Ge­gen­über wie­der furcht­bar zu­sam­men und misch­te sich ins Ge­spräch, klar, kurz und bün­dig: »Ein Deut­scher soll­te sein ehr­lich er­wor­be­nes Geld in die­sen wirt­schaft­lich...