1 Fresskultur und Esskult
Und so oder zumindest soähnlich sieht die Welt hinter der Pferdelasagne momentan aus: Eine mittelgroße deutsche Stadt. Nebenan hat ein neues Café eröffnet. Einige Wochen haben darin fleißige Menschen gewerkelt: Sie haben Parkett verlegt, die Wände tapeziert und in aufeinander abgestimmten Pastellfarben gestrichen, haben einen Tresen aufgebaut sowie etliche nicht zusammengehörende, dennoch optisch zusammenpassende Tischchen und Stühle in den großzügigen Vorraum gebracht. Da heute die Sonne scheint, erstreckt sich die gastronomische Landschaft bis an die Bordsteinkante. Zur Eröffnung vor ein paar Tagen sind dreimal so viele Menschen erschienen, wie das Lokal fassen kann. Nun jedoch verteilt sich die sicherlich noch größere Masseüber den Tag, so dass es kaum enttäuschte Gesichter gibt, die keinen freien Platz mehr ausmachen. Mehr Frauen als Männer sitzen dort und schlürfen Kaffee, kauen Bissen von Küchlein, beißen in Teigringe. Sie dürften zwischen 20 und Mitte 30 sein. Gelegentliche Altersausreißer nach unten oder oben fallen aber kaum auf, denn sie tragen die gleiche Kleidung: eng geschnittene Hosen zu klassischen Hemden die Männer, Leggins zu lockeren T-Shirts oder verspielte Kleider die Frauen. Sie blinzeln durch die gleichen dunkel umrahmten Brillen und auf ihr Smartphone, das sie selten aus der Hand legen, und haben dieselbe jugendliche Ausstrahlung.
Was hat es nur auf sich mit diesem neuen Lokal? Vielleicht wagen Sie sich selbst einmal hinein. Innen mutet zunächst nichts so speziell an wie die Kundschaft. Deren Gespräche drehen sich, so viel können Sie im Vorbeigehen aufschnappen, ums Essen, um den letzten Tweet von Sigmar Gabriel, das Statusupdate von Lady Gaga oder das neue Werk von Jan Bredack (von wem…? Dazu später). An der Theke, hinter der sich appetitlich angerichtetes Kleingebäck, Kuchen und Belegtes tummeln, bleiben Sie stehen, um einen Blick auf das Angebot zu werfen. Während die»Barista«– mit gepiercten Lippen– Ihnen ein aufmunterndes Lächeln zuwirft, lesen Sie:»caffè crema, cappuccino, latte macchiato…«– also abermals nichts Außergewöhnliches. Doch da, am Ende der Schiefertafel, ist die Standardorthographie wieder intakt:»Alle Produkte sind garantiert frei von tierischen Erzeugnissen!«
Milchkaffee ohne Milch, Käsekuchen ohne Quark, Käsestangen ohne Käse? Und damit lockt man solche Menschenmengen?
DIE PLURALISTISCHE TISCHGESELLSCHAFT
Die ersten Kontakte mit dem Veganismus, wie er sich heute in deutschen Städten ausbreitet, befremdet wohl nicht so sehr wie noch vor 15 Jahren die Begegnung mit Pflanzenköstlern, die sich mehrheitlich als hinterwäldlerische Pazifisten präsentierten. Wirklich neu ist der Veganismus ja nicht. Dennoch bleibt ein gewisses Maß an Verwunderung nicht aus: Exotisch bis merkwürdig klingen Mandelmilch, Seidentofu, Seitan und Carob. Verblüffend bis erschreckend ist dieÄhnlichkeit der veganen Versionen mit den konventionellen Varianten von Hackfleisch, Aufschnitt oder Sahnehauben.
Obacht, die Kellnerin spricht Sie an:»Sie sind wohl zum ersten Mal hier? Alles, was wir anbieten, ist garantiertcruelty-free. Und lecker ist