I.
Als Gisela Rosenblüm am Tag der Sommersonnenwende in ihrem schmucken kleinen Wochenendhaus am Land zur Mittagszeit unter größten Schmerzen und mit verhaltenen Schreien und nur mit einer Haushebamme an ihrer Seite ihr zweites Kind zur Welt brachte, zog sich draußen ein gelber Sonnenglanz durchs Baumgeäst vor dem Fenster mit den Spitzengardinen.
So ein großes Glück, hörte sie die Haushebamme dicht bei ihr sagen, während diese das Kind abnabelte: unter der Sonne am Tag der Sommersonnenwende geboren. Mit dünnen Lippen blies sie dem Mädchen ins Gesicht und horchte auf den ersten Schrei aus seinem Mund, dann wischte sie ihm das Blut aus dem kleinen Gesicht und legte es an die Brust der Gisela Rosenblüm. In dem Moment, in dem sie ihr Kind in den Armen hielt, ging ihnen beiden die Nabelschnur verloren.
Draußen wurden Schritte laut, dann knallte eine Tür. Jakob Rosenblüm stürzte mit Judith, der fünfjährigen Tochter, ins Zimmer herein, auf seine Frau und sein neugeborenes Kind zu und nahm Gisela in seine großen starken Arme. Ihm war, als würde er zum ersten Mal in seinem Leben seine Frau in den Armen halten, als würde er zum ersten Mal in seinem Lebenüberhaupt eine Frau festhalten. Es war das Paradies, dann der Himmel. Bis der zweite Lebensschrei des Kindes erklang.
Nurit, sagte er und malte seinem neugeborenen Töchterchen mit Rosenwasser eine Sonne auf die kleine Wange, sie soll Nurit heißen, unsere Butterblume, wie der Name in derÜbersetzung aus dem Hebräischen heißt.
Judith klatschte in die kleinen Händchen und lachte entzücktüber die Butterblume, ihr großes gemeinsames Familienglück. Es war ein Wunder. Ihr Wunder. Und das ganze Zimmer roch nach Rosenwasser.
Und irgendwann einmal, so flüsterte Jakob in Giselas Haar, wolle er ihr einen wunderschönen und mit bunten Perlen besetzten Leuchter schenken, wie einer Königin aus einem Märchen ausTausendundeiner Nacht. Es sollte ein wunderschöner Leuchter sein, der sein Lichtüber den Boden fließen ließe wie ein Wassersturz. Und in seinem Licht würden auf blaugrauem Untergrund weiße Wasserblumen erblühen und karminrote indische Elefanten zu sehen sein, dieüber diese Wasserblumen liefen wieüber Wolken in einen Himmel hinein. Es sollte ein Leuchter sein, der einer Königin gebührte. Es sollte ein Leuchter für seine Königin sein. Er sollte für Gisela sein.
Und vielleicht, so träumte er, könnte sie sich dann in dieses magische Licht setzen und wie die kluge Scheherazade mit Sindbad dem Seefahrer und Ali Baba und den vierzig Räubern wie auf dem fliegenden Teppich von König Salomo und seinen Scharen mitten in den Himmel hineinsegeln– mit ihrem wunderschönen braunen Haar als Segeltuch. Jakob wusste, dass er sentimental war, aber es kümmerte ihn nicht, im Gegenteil, er genoss es einfach. Mehr war es nicht. Auch nicht weniger.
Judith fragte, wer denn diese kluge Frau gewesen war, die mit Sindbad dem Seefahrer und Ali Baba und den vierzig Räubern wie auf einem fliegenden Teppich von König Salomo und seinen Scharen