: Jörg Mauthe
: Die große Hitze oder die Errettung Österreichs durch den Legationsrat Dr. Tuzzi
: Edition Atelier
: 9783903005594
: 1
: CHF 11.70
:
: Erzählende Literatur
: German
: 250
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Sektionschef Tuzzi aus Robert Musils 'Mann ohne Eigenschaften' wird zum Helden eines ganzen Buches, einer ganzen Nation. Österreich ist dem Untergang geweiht: Eine nicht enden wollende Hitzeperiode ist über das Land hereingebrochen und nimmt gefährliche Ausmaße an. Als sich die Regierung nicht mehr zu helfen weiß, wird Dr. Tuzzi beauftragt, Wasser zu beschaffen und sein Land zu retten - eine Aufgabe, für deren Bewältigung er ungewöhnliche Mittel ergreifen muss ... Jörg Mauthe erzählt in seinem Roman 'Die große Hitze' vom Beamtenstaat Österreich, dessen Unter- und Abgründe ? irrwitzig komisch und sagenhaft wahrhaftig.

Jörg Mauthe, 1924-1986 (Wien); Studium der Kunstgeschichte und Germanistik; ab 1947 Tätigkeit als Journalist; ab 1950 Kunstkritiker für die Furche, ab 1955 Kulturredakteur bei der Presse; im Anschluss Leiter der Abteilung Wort beim Sender Rot-Weiß-Rot, 1967 Kulturredakteur und Programmplaner für das ORF-Fernsehen; ab 1975 Kolumnist für den Kurier; 1978-1986 Wiener Stadtrat für die ÖVP, bis 1983 Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Wiener Gemeinderats; Gründer des Wiener Journal und der Edition Atelier; Träger des Theodor-Körner-Preises; zahlreiche Publikationen, u. a. Wiener Knigge (1956), Der gelernte Wiener (1961), Nachdenkbuch für Österreicher (1975).

EIN ERSTES
ZWISCHENKAPITEL


ENTHÄLT MATERIALIEN ZUR
PERSÖNLICHKEITSBILDUNG EINES
ÖSTERREICHISCHEN LEGATIONSRATS


In den letzten Jahren der Ersten Republik– also vor 1938– trafen einander täglich gegen 17.30 Uhr im»Café Ministerium« am Postsparkassenplatz drei hohe Offiziere aus dem nahen Kriegsministerium, um nach Dienstschluß eine Runde Preference zu spielen, ein Kartenspiel zu dritt, das sich besonders gut zur Entspannung eignet, weil es so langweilig ist. Die drei Herren kannten einander seit langer Zeit, zwei von ihnen waren sogar am selben Tage als Leutnants ausgemustert worden. Es verband sie eine innige und vielfach bewährte Freundschaft, an der jeder vor allem den Umstand schätzte, daß sie schweigsam war, weil man einander im Laufe der Zeit alles gesagt hatte, was zu sagen wichtig und notwendig gewesen war. So beschränkte sich denn das täglichen Gespräch auf knappe Fragen nach dem Befinden, die meist mit einem ebenso knappen»No ja« beantwortet wurden. Erst, wenn um Punkt dreiviertel sieben der Kellner an den Tisch trat und vom Generalmajor der Kavallerie S. und vom Feldmarschalleutnant L. die Kosten von je zwei Vierteln G’spritzten samt Trinkgeld in Empfang nahm, kam es zu einem kurzen, jedoch stets gleichbleibenden Dialog, den der General der Infanterie T. mit den Worten:»Warum gehts denn schon?« eröffnete, worauf der Generalmajor sagte:»Wir essen um halb acht, weißt?« und der Feldmarschalleutnant»Schließlich hat die Familie auch ein Recht, weißt?« hinzufügte.»Ehstandskrüppeln«, sagte daraufhin verachtungsvoll der General. Wenn er besonders gut aufgelegt war, setzte er hinzu:»Hätt’ ich mir nie denkt, daß solche Pantoffelhelden aus euch werden täten! Herr Ober– mir noch einen G’spritzten!«–»Du hast es halt g’scheiter gemacht«, sagte melancholisch der Generalmajor.»Servus.« Und gemeinsam mit dem Feldmarschalleutnant spazierte er nach Hause, zurück unter das Joch des Ehestands, während der General T. noch ein Viertelstündchen sitzen blieb.

So ging das fünfzehn Jahre lang Tag um Tag, wenn nicht gerade ein Bürgerkrieg oder ein Putschversuch die Preference verhinderte.

Im sechzehnten Jahr erschien der General T. drei Tage hintereinander nicht zur Preference. Am vierten Tag erhielten seine beiden Freunde auf dem Dienstweg die Mitteilung, daß er an einem Herzstillstand gestorben sei.

Das Begräbnis erfolgte mit allen militärischen Ehren. Und ungeachtet ihrer ehrlichen Trauer waren der Feldmarschalleutnant und der Generalmajor voll des Zornes, denn auf der anderen Seite des Grabes standen eine gebrochene Witwe und ein reizendes vierjähriges Buberl.

Das Buberl war der spätere Legationsrat Dr. Tuzzi.

Die Generalswitwe, Tuzzis Mutter also, hatte ihren vielälteren Mann tief und treu geliebt (er sieübrigens auch). Nach seinem Tode fand sie am Leben keine Freude mehr, wurde eigensinnig und machte sich auf die Suche nach dem eigenen Tod. Sie begann damit, indem sie– es war nun 1938 und ausÖsterreich eine deutsche Provinz geworden– den Blockwart ihres Hauses ohrfeigte, weil sie ihn für schuldig hielt an der Austreibung einer jüdischen Familie. Der Blockwart hatte jedoch an diesem Geschehnis keinerlei Anteil gehabt, war aber gerade darumüber die Ohrfeige der Generalin so empört, daß er im Gefühl gekränkter Unschuld unverzüglich dem Ortsgruppenleiter Meldung erstattete. Dieser Mann, ein sogenannter alter Illegaler, wollte die Sach