EIN ERSTES
ZWISCHENKAPITEL
ENTHÄLT MATERIALIEN ZUR
PERSÖNLICHKEITSBILDUNG EINES
ÖSTERREICHISCHEN LEGATIONSRATS
In den letzten Jahren der Ersten Republik– also vor 1938– trafen einander täglich gegen 17.30 Uhr im»Café Ministerium« am Postsparkassenplatz drei hohe Offiziere aus dem nahen Kriegsministerium, um nach Dienstschluß eine Runde Preference zu spielen, ein Kartenspiel zu dritt, das sich besonders gut zur Entspannung eignet, weil es so langweilig ist. Die drei Herren kannten einander seit langer Zeit, zwei von ihnen waren sogar am selben Tage als Leutnants ausgemustert worden. Es verband sie eine innige und vielfach bewährte Freundschaft, an der jeder vor allem den Umstand schätzte, daß sie schweigsam war, weil man einander im Laufe der Zeit alles gesagt hatte, was zu sagen wichtig und notwendig gewesen war. So beschränkte sich denn das täglichen Gespräch auf knappe Fragen nach dem Befinden, die meist mit einem ebenso knappen»No ja« beantwortet wurden. Erst, wenn um Punkt dreiviertel sieben der Kellner an den Tisch trat und vom Generalmajor der Kavallerie S. und vom Feldmarschalleutnant L. die Kosten von je zwei Vierteln G’spritzten samt Trinkgeld in Empfang nahm, kam es zu einem kurzen, jedoch stets gleichbleibenden Dialog, den der General der Infanterie T. mit den Worten:»Warum gehts denn schon?« eröffnete, worauf der Generalmajor sagte:»Wir essen um halb acht, weißt?« und der Feldmarschalleutnant»Schließlich hat die Familie auch ein Recht, weißt?« hinzufügte.»Ehstandskrüppeln«, sagte daraufhin verachtungsvoll der General. Wenn er besonders gut aufgelegt war, setzte er hinzu:»Hätt’ ich mir nie denkt, daß solche Pantoffelhelden aus euch werden täten! Herr Ober– mir noch einen G’spritzten!«–»Du hast es halt g’scheiter gemacht«, sagte melancholisch der Generalmajor.»Servus.« Und gemeinsam mit dem Feldmarschalleutnant spazierte er nach Hause, zurück unter das Joch des Ehestands, während der General T. noch ein Viertelstündchen sitzen blieb.
So ging das fünfzehn Jahre lang Tag um Tag, wenn nicht gerade ein Bürgerkrieg oder ein Putschversuch die Preference verhinderte.
Im sechzehnten Jahr erschien der General T. drei Tage hintereinander nicht zur Preference. Am vierten Tag erhielten seine beiden Freunde auf dem Dienstweg die Mitteilung, daß er an einem Herzstillstand gestorben sei.
Das Begräbnis erfolgte mit allen militärischen Ehren. Und ungeachtet ihrer ehrlichen Trauer waren der Feldmarschalleutnant und der Generalmajor voll des Zornes, denn auf der anderen Seite des Grabes standen eine gebrochene Witwe und ein reizendes vierjähriges Buberl.
Das Buberl war der spätere Legationsrat Dr. Tuzzi.
Die Generalswitwe, Tuzzis Mutter also, hatte ihren vielälteren Mann tief und treu geliebt (er sieübrigens auch). Nach seinem Tode fand sie am Leben keine Freude mehr, wurde eigensinnig und machte sich auf die Suche nach dem eigenen Tod. Sie begann damit, indem sie– es war nun 1938 und ausÖsterreich eine deutsche Provinz geworden– den Blockwart ihres Hauses ohrfeigte, weil sie ihn für schuldig hielt an der Austreibung einer jüdischen Familie. Der Blockwart hatte jedoch an diesem Geschehnis keinerlei Anteil gehabt, war aber gerade darumüber die Ohrfeige der Generalin so empört, daß er im Gefühl gekränkter Unschuld unverzüglich dem Ortsgruppenleiter Meldung erstattete. Dieser Mann, ein sogenannter alter Illegaler, wollte die Sach