Eins
Irgendeine bescheuerte Krähe hielt mich mit ihremkarr, karr, karr die ganze Nacht wach. (Oder besser gesagt den ganzen Tag – ich bin ja ein Jungvampyr, da ist die Tag-und-Nacht-Geschichte genau umgekehrt.) Also, jedenfalls kriegte ich letzte Nacht/Tag null Schlaf. Wobei eine blöde schlaflose Nacht zurzeit eindeutig zu meinen kleineren Problemen gehört. Das Leben ist nämlich echt Mist, wenn all deine Freunde sauer auf dich sind. Ich sollte das wissen – ich heiße Zoey Redbird und bin derzeit unumstrittene Titelverteidigerin des großen Ich-mache-meine-Freunde-sauer-Pokals.
Persephone, die große Rotschimmelstute, die mir sozusagen gehören würde, solange ich im House of Night wohnte, wandte den Kopf und schnupperte an meinem Hals. Ich gab ihr einen Kuss auf das weiche Maul und striegelte weiter ihren glänzenden Hals. Mich um Persephone zu kümmern beruhigte mich immer und half mir nachzudenken. Und beides hatte ich momentan dringend nötig.
»Okay. Ich hab mich jetzt schon zwei Tage lang erfolgreich vor der großen Konfrontation gedrückt. Aber so kann das nicht weitergehen«, erklärte ich Persephone. »Ja, ich weiß, die sind jetzt in der Mensa beim Mittagessen und tun alle ganz dick miteinander und lassen mich total links liegen.«
Persephone schnaubte und machte sich wieder daran, ihr Heu zu kauen.
»Ja, ich finde, dass sie aber auch Idioten sind. Klar hab ich sie angelogen, aber eigentlich hab ich ihnen hauptsächlich Sachen verschwiegen. Und das war zu ihrem eigenen Besten.« Ich seufzte. Okay, dass Stevie Rae untot war, hatte ich ihnen wirklich zu ihrem eigenen Besten verschwiegen. Dass zwischen mir und Loren Blake – Meisterpoet der Vampyre und Lehrer an unserer Schule – was gelaufen war, na ja, das war eher zu meinem Besten gewesen. »Aber trotzdem.« Persephone drehte ein Ohr nach hinten, um mir zuzuhören. »Die sind total vorschnell in ihrem Urteil.«
Persephone schnaubte noch einmal. Ich seufzte wieder. Mist. Viel länger konnte ich es wirklich nicht mehr hinauszögern.
Ich tätschelte meiner süßen Stute noch ein letztes Mal den Hals, dann ging ich gemächlich in die Sattelkammer und legte die verschiedenen Striegel, Bürsten und Mähnenkämme zurück, mit denen ich sie jetzt eine Stunde lang bearbeitet hatte. Tief atmete ich die tröstliche Mischung aus Leder- und Pferdeduft ein, um meine Nerven zu beruhigen. Als ich im Glas der Fensterscheibe mein Spiegelbild erblickte, fuhr ich mir automatisch mit den Fingern durch mein langes dunkles Haar, damit es nicht ganz so zerknautscht aussah. Ich war erst vor etwas mehr als zwei Monaten Gezeichnet worden und ins House of Night gekommen, aber mein Haar war schon merklich länger und kräftiger geworden. Und dass ich supertolle Haare bekam, war nur eine der vielen Veränderungen, die mit mir vorgingen. Manche davon sah man mir von außen nicht an – wie die Tatsache, dass ich eine Affinität zu allen fünf Elementen hatte. Andere sprangen sofort ins Auge – wie die einzigartigen Tattoos, die in filigranen, fremdartigen Spiralen mein Gesicht umrahmten und sich dann (anders als bei jedem anderen Jungvampyr oder erwachsenen Vampyr) weiter über Hals und Schultern und das Rückgrat hinunterzogen – und nun auch, erst seit wenigen Tagen, um meine Taille herumliefen (ein kleines Detail, das außer mir, meiner Katze Nala und der Göttin Nyx bisher niemand kannte).
Wem hätte ich’s auch zeigen sollen?
»Tja, vorgestern warst du nicht nur mit einem, sondern gleich mit drei Typen zusammen«, erklärte ich dem Ich mit den dunklen Augen und dem zynisch verzogenen Mund, das mich aus der Fensterscheibe ansah. »Aber damit hast du gründlich aufgeräumt, was? Heute hast du nicht nur absolut gar keinen Freund mehr, sondern dir wird die nächsten, keine Ahnung, hundert Millionen Jahre lang auch keiner mehr vertrauen.« Na gut, außer Aphrodite, die vor zwei Tagen total ausgerastet und Hals über Kopf aus der Schule floh, weil sie womöglich wieder zurück in einen Menschen verwandelt worden war, und Stevie Rae, die besagter ausgerasteten Aphrodite hinterherjagte, weil sie womöglich an ihrer Wiedermenschwerdung schuld war, als sie sich in dem von mir beschworenen Kreis von einem fiesen untoten toten Ding in eine un-untote, aber seltsam rot tätowierte Stevie Rae zurückverwandelt hatte. »Wie auch immer«, sagte ich laut zu mir selbst, »du hast es geschafft, so ungefähr bei jedem, der irgendwie mit dir zu tun hat, was falsch zu machen. Tolle Leistung!«
Meine Unterlippe hatte angefangen zu zittern, und ich spürte, wie mir Tränen in die Augen s