Ich weiß nicht, woher meine Sehnsucht nach nördlichen Inseln stammt. Vielleicht habe ich sie geerbt. Wenn wir in den Ferien meiner Kindheit nicht durch Osteuropa gefahren sind, waren wir auf Orkney oder auf den Hebriden. Mein Großvater, der in den 1920er-Jahren in Leeds aufgewachsen ist, ging im Alter von sechzehn Jahren auf einen Fischtrawler, der Island zum Ziel hatte– nicht, weil er sich fürs Fischen interessiert hätte, sondern weil er schon immer in den Norden wollte. Meine Großmutter war in den 1930er-Jahren mit ihren Freunden auf Mull vor der Nordwestküste Schottlands zelten und ist in den Fünfzigern mit meiner Mutter und in den Achtzigern mit mir erneut dorthin gefahren. Mich bringt nicht die Arktis zum Träumen, der Schauplatz ewiger Breitengrad-Rivalitäten, es sind die grauen Archipele, die Sprungbretter des Atlantiks. Scilly, Aran, Harris, Lewis, Orkney, Fair Isle, Shetland, Färöer, das südliche Grönland, die kanadischen Seeprovinzen; eine Seestraße, die historische Siedlungen miteinander verbindet und seit Jahrhunderten befahren wird. Die Arktis ist gleich hinter dem Horizont, die sechs Monate währende Dunkelheit immer im Hinterkopf, an den sommerlangen Tag kann man im Winter nicht glauben, und wenn er kommt, vermag man ihn nicht in Zweifel zu ziehen. Hier, direkt unter der Spitze der Erde, gibt es Städte und Dörfer, ein Gewirr menschlichen Lebens, im Schatten arktischer Eschatologie. Immer wieder kehre ich an den Nordatlantik zurück, arbeite mich nach Norden und Westen vor, wie es die Kelten und Wikinger getan haben. Nach dem Schulabschluss mieten eine Freundin und ich eine Hütte in Rousay auf Orkney und verbringen zwei Wochen damit, in neolithische Gräber hinabzusteigen, am felsigen Ufer entlang- und durch die Heide zu laufen, während wir versuchen, nichtüber unser bevorstehendes Erwachsenenleben nachzudenken. Als Studenten begeben eine andere Freundin und ich uns schlecht beraten auf eine Radtourüber die Shetlandinseln, wo wir bergab gegen den Wind anstrampeln müssen, aber eine wildere, fremdere Landschaft sehen als auf Orkney, wo alles glatter ist. Ich reise auf die Färöer-Inseln. Einige Inseln sind nicht mehr als aus dem Meer ragende Klippen, und die alten Norweger, die einstüber Orkney und auchüber die Shetlands herrschten, scheinen irgendwie immer noch da zu sein. Auf der Universität belege ich ein Seminar zu alten nordischen Sagen, in der Erwartung, dass sie mich faszinieren, und den Sommer meines ersten Studienjahres plane ich in Island zu verbringen. Ich gewinne einen Preis, der an Studenten des Grundstudiums vergeben wird, für die»Förderung der Kenntnisse bezüglich der Schönheit der Landschaft«, und kaufe ein Busticket, mit dem ich die Route 1 abfahren will, die einzige Straße, die Island umrundet. Meine Freundin Kathy liebt die nordischen Inseln ebenfalls und willigt ein, mitzukommen.
In England haben Reisen nach Island Tradition. Vor allem im neunzehnten Jahrhundert reiste man auf den Spuren der mittelalterlichen Sagen. Ich lese W. G. Collingwood, der in Islands Heimatkundemuseen eine Spur aus Aquarellbildern hinterlassen hat, und William Morris, der 1871 und 1873 nach Island reiste und eine Reihe weitschweifiger, dem Altnordischen zuneigender Gedichte schrieb, als wolle er den Beitrag der normannischen Eroberung zur englischen Sprache rückgängig machen:
Da, endlich, auf unserem dümpelnden Schiff, kommt Land in Sicht. Gezackte Felsen bewachen amöstlichen Ufer der Mündung die breiten,öden Auen, Und schwarz erheben sich Hügelrücken, von mattem Grün gestreift, Ein Berg ragt auf, im Westen, wo Wolken und Meer sich begegnen, Trutzig vom Sockel zur Spitze, wie vormals die Bauten der Götter, Die kargen Flanken von Wolken umkränzt, von Schnee befleckt, grau, Und hell am frühen Morgen, der gerade, am Ende des Tages, beginnt.
Ach! Was haben wir zu finden gehofft, dass unsere H