: Joyce Carol Oates
: Zwei oder drei Dinge, die ich dir nicht erzählt habe
: Carl Hanser Verlag München
: 9783446247062
: 1
: CHF 8.90
:
: Jugendbücher ab 12 Jahre
: German
: 272
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Für Merissa, Tink und Nadja ist es das letzte Jahr in ihrer Schule, die Weichen werden gestellt. Merissas Zukunft sieht rosig aus: Sie ist beliebt und ehrgeizig, schreibt in jedem Fach Bestnoten und hat den Studienplatz schon sicher. Tink dagegen ist rebellisch, sie lässt sich weder von Lehrern noch von Eltern oder Mitschülern etwas sagen. Die schüchterne Nadja bewundert im Stillen Tinks Selbstbewusstsein. Sie selbst kann sich gegen Angriffe und Mobbing nicht zur Wehr setzen. Dass alle drei Mädchen mit den gleichen Ohnmachtsgefühlen kämpfen, hätte niemand gedacht. Ein Jugendbuch über Familie, Freundschaft und das Erwachsenwerden zwischen Internetmobbing und Selbstzweifeln.

Joyce Carol Oates, 1938 geboren, studierte Literatur und Philosophie und lehrt seit 1978 an der Princeton-Universität in New Jersey. Sie zählt zu den wichtigsten amerikanischen Autorinnen der Gegenwart. Für ihre Romane, Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke erhielt sie neben vielen anderen Auszeichnungen den National Book Award und mehrfach den O-Henry-Preis. Der bei Hanser erschienene Jugendroman Mit offenen Augen - Die Geschichte von Freaky Green Eyes war für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2006 nominiert. Außerdem sind die Jugendbücher Unter Verdacht (2003), Sexy (2006) und Nach dem Unglück schwang ich mich auf, breitete meine Flügel aus und flog davon (2008) bei Hanser erschienen. 2014 folgte ihr Jugendroman Zwei oder drei Dinge, die ich dir nicht erzählt habe.

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GUTE NACHRICHTEN, FORTSETZUNG!


Diese fantastische Woche!

Zuerst erfuhr Merissa, dass Mr Trocchi, der Leiter der Theater-AG, sie für die begehrte Rolle der Elizabeth Bennet in einer Bühnenadaption von Jane AustensStolz und Vorurteil ausgewählt hatte–»Du triffst Austens unverwechselbare Mischung aus beißendem Humor und moralischem Ernst wirklich gut, Merissa. Glückwunsch!«

(Schwer, darüber hinwegzusehen, dass Brooke Kramer in den folgenden Tagen gekränkt und verkniffen aussah, wenn sie ihrüber den Weg lief– denn Brooke, seit der neunten Klasse Mitwirkende in zahlreichen Schulproduktionen, hatte ebenfalls für die Rolle vorgesprochen und war bitter enttäuscht, gegenüber Merissa Carmichael den Kürzeren zu ziehen, die ihrer Ansicht nach längst nicht so gut spielte wie sie.)

Am nächsten Tag, Mathekurs! In dem Mr Doerr beim Zurückgeben der Tests von letzter Woche in seiner grimmig-trockenen Art bemerkte, Merissa Carmichael habe ihr Geschlecht in Sachen Mathe»errettet«, denn sie hatte96 Prozent, mehr als jeder andere Schüler, außer natürlich Virgil Nagy mit seinen gewohnten100 Prozent.

(Schwer, darüber hinwegzusehen, dass sich auf Shaun Ryans Gesicht Enttäuschung und Scham breitmachten, als Mr Doerr ihm seinen Test zurückgab; und dass Shaun am Ende des Kurses nicht mit ihr den Raum verließ, sondern sie ignorierte und ein Stück zurückblieb, um mit einem anderen Schüler, der in dem Test offenbar auch nicht so gut abgeschnitten hatte, hämische Witze zu reißen.)

Am nächsten Tag, Treffen der Jahrbuchredaktion des Abschlussjahrgangs! Aus irgendeinem Grund erwies es sich als das produktivste Gruppentreffen des Herbstsemesters: Alex Wren, Chefredakteur, hatte keine seiner sarkastischen Launen, sondern war lustig, charmant und flirtete mit Merissa, obwohl sie ihn in Trocchis Mathetest»um10 Punkteübertroffen« hatte. Dana Crowley, die Leiterin des Projekts und Englisch-/Journalismus-Lehrerin, blieb nur kurz da und mischte sich nicht auf ihre gewohnt freundlich-rechthaberische Art ein, die alle hinter ihrem Rücken heimlich die Augen verdrehen ließ. Und der schöne Coverentwurf, an dem Merissa und Chloe viele Stunden lang gearbeitet hatten– Farbe, Layout, Schrifttype–, wurde mit einhelliger Begeisterung angenommen.

(»Was sie wohl sagen werden«, meinte Merissa zu Chloe,»wenn wir in der Danksagung für die Covergestaltung Tink, Inc. angeben?« Die Mädchen lachten nervös. Denn fast sechs Monate nach Tinks T?d war das Thema Tink Traumer an der Quaker Heights Day School noch immer brisant. Der Entwurf, den die anderen in der Gruppe so bewundert hatten, enthielt ein herrlich strahlendes Foto des Sternbilds Orion aus Tinks Nachthimmel-Serie, in das auf geniale Weise die länglichen Buchstaben

QAKERHEIGHTSYEAR’12

eingefügt waren. Die Wirkung war bombastisch und spannend. Chloe sagte mit gesenkter Stimme:»Meinst du, Tink ist dort?«– womit sie den Nachthimmel auf dem Foto meinte; und Merissa erwiderte schnell und mit abgewandtem Blick:»Nein. Tink isthier.«)

Das waren die Ereignisse vom Montag, Dienstag, Mittwoch. Und dann kam am Mittwoch noch der (dicke) Zulassungsbrief der Brown University, adressiert an Merissa Carmichael,18 West Brook Way, Quaker Heights, New Jersey, während sie in der Schule war.

(Obwohl Merissa ihre Mutter gebeten hatte, ihre Post bittebittebitte nicht zuöffnen und sich die Verletzung ihrer»Privatsphäre« verbeten hatte, konnte Mrs Carmichael nicht widerstehen, den Umschlag noch auf der Vordertreppe aufzureißen, nachdem sie ihn aus dem Briefkasten geholt hatte. Seit Monaten hatten die Carmichaels fast ausschließlichüber Merissas Collegebewerbung geredet, und ihr Vater, der in Dartmouth studiert hatte, wünschte sich für seine Tochter nichts sehnlicher als die Aufnahme an einer»führenden« Elite-Uni.)

Dann, Donnerstag: als Merissa (erstens) erfuhr, dass ein Aufsatz, den sie für Mr Kesslers Naturwissenschaftskurs geschrieben hatte–»Unsere Umwelt und wir«–, den dritten Platz in einem vonScientific American gesponserten Highschool-Wettbewerb belegt hatte, zu dessen Teilnahme Mr Kessler sie ermutigt hatte, und der auf der Website der Zeitschrift veröffentlicht werden sollte; und (zweitens) das Hockeyteam, in dem Merissa gewöhnlich nur eine durchschnittlich-bis-gute Spielerin war, gegen das besser platzierte Team der Lawrence gewann, und das nicht zuletzt durch ihr geschicktes Abblocken der Starspielerin im Lawrence-Team (auch wenn Merissa sich hinterherüber ihr Humpeln lustig machte und behauptete, es tue gar nicht weh, nachdem die wütende Lawrence-Spielerin ihr den Hockeyschläger an den Knöchel geknallt hatte).

Außerdem am Donnerstag: Infolge der guten Nachricht von der Brown University, die sich schnell herumgesprochen hatte, beglückwünschten sie mehrere Schüler des Abschlussjahrgangs, die ebenfalls einen Studienplatz an der Harvard, Princeton, Yale oder Brown bekommen hatten– obwohl es keine engen Freunde von ihr waren, sondern Schüler, die sie größtenteils mochte und bewunderte.

(Nur dass es Merissa unangenehm