: Agatha Christie
: Mord im Orientexpress Ein Fall für Poirot
: Atlantik Verlag
: 9783455170160
: 1
: CHF 8.80
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Nach einigen Mühen hat Hercule Poirot ein Abteil im Kurswagen Istanbul - Calais des Luxuszugs ergattert. Doch auch jetzt ist ihm keine Ruhe vergönnt: Ein amerikanischer Tycoon ist ermordet worden, der ganze Zug voller Verdächtiger. Und der Mörder könnte jederzeit wieder zuschlagen.  Eine Aufgabe, wie gemacht für den Meisterdetektiv.

Agatha Christie begründete den modernen britischen Kriminalroman und avancierte im Laufe ihres Lebens zur bekanntesten Krimiautorin aller Zeiten. Ihre beliebten Helden Hercule Poirot und Miss Marple sind - auch durch die Verfilmungen - einem Millionenpublikum bekannt. 1971 wurde sie in den Adelsstand erhoben. Agatha Christie starb 1976 im Alter von 85 Jahren.

Teil 1Die Tatsachen


Erstes KapitelEin bedeutender Fahrgast im Taurus-Express


Es war ein kalter Wintermorgen in Syrien. Früh um fünf Uhr wartete auf dem Bahnhof von Aleppo der Zug, der in den Kursbüchern großspurig als»Taurus-Express« bezeichnet wird. Er bestand aus einem Küchen- und Speisewagen, einem Schlafwagen und zwei gewöhnlichen Reisewagen.

Vor dem Trittbrett zum Schlafwagen unterhielt sich ein junger französischer Leutnant in prächtiger Uniform mit einem dünnen kleinen Mann, der sich bisüber die Ohren eingemummt hatte, sodass man von ihm nur noch die rote Nasenspitze und die beiden Enden eines aufwärts gezwirbelten Schnurrbarts sah.

Es war bitterkalt, und niemand war um die Aufgabe zu beneiden, einen berühmten Fremdling am Bahnhof zu verabschieden, aber Lieutenant Dubosc stellte sich ihr wie ein Mann. Von seinen Lippen flossen elegante Sätze in geschliffenem Französisch. Aber man glaube nicht, dass er gewusst habe, worum es hier eigentlich ging. Natürlich waren Gerüchte in Umlauf gewesen, wie es sie in solchen Fällen immer gibt. Der General –sein General – war zusehends misslauniger geworden. Und dann war dieser Belgier gekommen – offenbar aus dem fernen England angereist. Eine ganze Woche lang hatte eine merkwürdig gespannte Atmosphäre geherrscht. Und dann hatten sich gewisse Dinge ereignet. Ein hochdekorierter Offizier hatte Selbstmord begangen, ein anderer seinen Abschied genommen – aus bekümmerten Mienen war der Kummer gewichen, bestimmte militärische Vorsichtsmaßnahmen waren gelockert worden. Und Lieutenant Duboscs höchsteigener General hatte plötzlich zehn Jahre jünger ausgesehen.

Dubosc hatte Teile eines Gesprächs zwischen ihm und dem Fremden mitgehört.»Sie haben uns gerettet,mon cher«, hatte der General mit bewegter Stimme gesagt, und sein prächtiger weißer Schnurrbart hatte beim Reden gezittert.»Sie haben die Ehre der französischen Streitkräfte gerettet – und ein großes Blutvergießen abgewendet. Wie kann ich Ihnen dafür danken, dass Sie meiner Bitte nachgekommen sind? Dass Sie diesen weiten Weg gemacht –«

Worauf der Fremde (ein gewisser Monsieur Hercule Poirot) eine geziemende Antwort gab, in der unter anderem der Satz fiel:»Aber sollte ich denn vergessen haben, dass Sie mir einmal das Leben gerettet haben?« Worauf der General wiederum etwas Geziemendes erwiderte und jedes Verdienst an dieser lange zurückliegenden Gefälligkeit in Abrede stellte. Und so hatten sie unter Austausch weiterer Artigkeiten, in denen Wörter wie Frankreich, Belgien, Ruhm und Ehre vorkamen, einander herzlich umarmt, und das Gespräch war zu Ende gewesen.

Lieutenant Dubosc hatte noch immer keine Ahnung, worum es bei dem allen gegangen war, doch ihm war nun die Aufgabeübertragen worden, Monsieur Poirot an den Taurus-Express zu bringen, und diese Aufgabe erledigte er mit all dem Eifer und Pflichtbewusstsein, das man von einem jungen Offizier am Beginn einer verheißungsvollen Karriere wohl erwarten durfte.

»Heute ist Sonntag«, sagte Lieutenant Dubosc.»Morgen Abend sind Sie in Istanbul.«

Er sagte diesen Satz nicht zum ersten Mal. Bahnsteiggespräche vor Abfahrt eines Zuges sind für Wiederholungen anfällig.

»So ist es«, bestätigte Monsieur Poirot.

»Und Sie gedenken dort ein paar Tage zu verbringen, nehme ich an?«

»Mais oui. Istanbul, in dieser Stadt war ich noch nie. Es wäre doch schade, da nur durchzureisen –commeça –« Er schnippte beredt mit den Fingern.»Mich drängt nichts – ich werde mich ein paar Tage als Tourist dort umsehen.«

»Die Hagia Sophia – sehr schön«, sagte Lieutenant Dubosc, der sie noch nie gesehen hatte.

Ein eisiger Wind pfiffüber den Bahnsteig. Beide Männer erschauerten. Lieutenant Dubosc gelang dabei ein verstohlener Blick auf seine Uhr. Fünf vor fünf – nur noch fünf Minuten!

Da er argwöhnte, der andere habe seinen verstohlenen Blick auf die Uhr bemerkt, stürzte er sich sogleich wieder ins Gespräch.

»Um diese Jahreszeit verreisen nicht viele Leute«, sagte er und sah zu den Schlafwagenfensternüber ihnen auf.

»So ist es«, bestätigte Monsieur Poirot.

»Hoffentlich werden Sie im Taurus-Gebirge nicht eingeschneit!«

»Kommt das vor?«

»Ja, es ist schon vorgekommen. Dieses Jahr allerdings noch nicht.«

»Dann wollen wir auf das Beste hoffen«, meinte Monsieur Poirot.»Die Wettermeldungen aus Europa sind schlecht.«

»Sehr schlecht. Viel Schnee auf dem Balkan.«

»Auch in Deutschland, habe ich gehört.«

»Eh bien«, sagte Lieutenant Dubosc rasch, als das Gespräch erneut zu stocken drohte.»Morgen Abend um neunzehn Uhr vierzig sind Sie jedenfalls in Konstantinopel.«

»Ja«, sagte Monsieur Poirot.

»Die Hagia Sophia –«, fuhr er verzweifelt fort,»ich habe gehört, sie soll sehr schön sein.«

»Prachtvoll, soviel ich weiß.«

Über ihren Köpfen wurde der Vorhang an einem der Schlafwagenfenster zur Seite geschoben, und eine junge Frau schaute heraus.

Mary Debenham war kaum zum Sc