: Ursula Meyer
: Endstation Aasee Ein Münsterkrimi mit Sieglinde Züricher
: Waxmann Verlag GmbH
: 9783830950776
: 1
: CHF 8.90
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: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 292
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Der Tod eines Münsteraner Prominenten - Schulleiter, Musiker, Kunstsammler und Kommunalpolitiker - wirft für Sieglinde Züricher, soeben zur Münsteraner Polizeiübergewechselt, zahlreiche Rätsel auf: Handelt es sich bei dem Mord an Rehberg um einen Racheakt, oder ist er die Folge eines familiären Dramas, dem auch sein Sohn Christian zum Opfer gefallen ist?

Meyers Bücher lesen sich nie en passant, sondern etwas kriminalistisches Gespür und vor allem Aufmerksamkeit ist vonnöten. [...] Stefan Bergmann in: Münstersche Zeitung vom 30. November 2010.

Erstes Kapitel

Jürgen Kotte hatte nicht nur seinen Arbeitsauftrag genau protokolliert, er eignete sich, wie sich herausstellte, auch als akribischer Zeuge. Seine Aussagen waren so exakt und detailliert, einschließlich seiner an der roten Ampel ausgeheckten Urlaubspläne, daß die Mordkommission später zumindest diese Minuten mühelos rekonstruieren konnte.

Zur gleichen Zeit, als der Tote gefunden wurde, saßen wir im Büro des Morddezernats. Es war mein erster Arbeitstag, und wir feierten meinen Einstand und den Abschied von Hauptkommissar Frieder Lenz. Lange und zäh hatte er sich um eine Versetzung nach Köln beworben, wo seine Frau Lehrerin war, und nun wurde es gleich eine Beförderung zum Ersten Hauptkommissar. Das war für ihn noch mehr Grund zur Freude als die Ankunft seiner Nachfolgerin. Aber sie hatten sich für mich,„die Neue“, etwas Exotisches einfallen lassen. Ich kam aus dem Münchner Sittendezernat, und so waren die Schreibtische bayrisch gedeckt: mit Weißwürsten und süßem Senf, Laugenbrezeln und Münchner Bier. Die Abteilungssekretärin Hilly hatte Papierdecken in weiß-blauem Rautenmuster besorgt, dazu Servietten und Pappgeschirr„Ton-in-Ton“. Das Ganze erinnerte an einen Kindergeburtstag, was nicht zuletzt an dem alkoholfreien Bier lag, aber schließlich war man im Dienst. Ich nahm an, daß Hilly hinter dem gesamten Budenzauber steckte, und bedankte mich bei ihr.

„Ja, schmeckt’s?“ fragte sie gönnerhaft.„Wissen Sie, es gibt da eine Metzgerei in der Innenstadt ... Undüberhaupt, wenn Sie demnächst mal einen Rat brauchen, wegen Friseur oder Gynäkologen…“

„Ich komme bestimmt darauf zurück“, versprach ich, und sie zwinkerte vertraulich mit ihren dunklen Rosinenaugen. Kein Zweifel, diese Frau, allein in einem Verband knallharter Männer, brauchte weibliche Verstärkung!

Das Schönste an dieser Einstands-Fête war, daß man sich Zeit lassen konnte.„Der Pinguin“, Dezernatsleiter Dr. Gross, hatte sich abgemeldet, angeblich wegen Gallenkoliken. Aber Inspektor Max Lückmann, mit dem Lenz das Büro teilte, wußte, daß Gross’ Leib-und-Magen-Verein Borussia Dortmund am Sonntag nachmittag haushoch gegen Werder Bremen verloren hatte. Und da war es doch wohl eher einübler„Kater“, der den Chef zu Hause festhielt. Seinen Spitznamen verdankte Dr. Gross seinem possierlichen Gang und der Tatsache, daß er immer den gleichen schwarzen Anzug trug. Nur die Fliege, mit der er seine weißen Oberhemden aufputzte, wechselte von Zeit zu Zeit. Das Telefon schellte in unsere Debatteüber den Mordfall Maria Rohrbach hinein, dessen„besonders bestialische Note“, wie Lenz sagte, im Frühjahr 1957 in Münster die Gemütswellen hatte hochschlagen lassen. Sein Onkel war, auf der Seite des Gesetzgebers selbstverständlich, in die Geschichte verwickelt gewesen, als 1961 die Akte noch einmal geöffnet wurde. Mit dem Ergebnis, daß„die Rohrbach“ nach vier Jahren Zuchthaus aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde.

„Und die besonders bestialische Note?“ fragte ich.

Lenz, ein großer, magerer Mittvierziger, mit scharf vorspringender Nase und ausgeprägten Geheimratsecken, nahm sich noch eine Weißwurst und zuzelte sie herzhaft, während er weiterredete.

„Nachdem sie ihrem Mann Rattengift in den Malventee geschüttet hatte, sägte sie die Leiche auseinander und brachte die Einzelteile, in alte Decken gehüllt, auf ihrem Fahrrad weg. Die obere Rumpfhälfte fischte man zwei Tage später aus dem Aasee, die untere auf der Höhe der Wienburg aus der Aa. Und um das widerwärtige Puzzlespiel komplett zu machen: auch die Beine fanden sich in der Aa, in einem toten Flußarm. Den fehlenden Kopf hatte sie angeblich im Küchenherd verbrannt, aber nach zweieinhalb Jahren entdeckte man, auf halber Strecke zur Wallfahrtskapelle von Telgte, den teilweise noch behaarten Schädel in einem ausgetrockneten Bombentrichter. So sahen die Richter, Schöffen und Gutachter den Fall, gestanden hat die Rohrbach nie. Und so leben die Mörder noch heute“, schloß er, wie in einem schlechten Märchen, und erbarmte sich endlich seines Telefons. Durch die Muschel hörte man die aufgeregte Stimme des Anrufers.

„Wo seid ihr?“ fragte Lenz,„Himmelreichallee? Vor oder hinter der Landesbausparkasse? Eine männliche Leiche in einem Auto? Auf einem Parkplatz, oder?… An einer Ampel? Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?… Ach so!“

Er schluckte das Wurstende herunter und brachte damit seinen Adamsapfel zum Tanzen. Sein Tonfall klang jetzt völlig verändert.

„Habt ihr Papiere gefunden? Ja?… Wer, sagst du? Das darf doch nicht wahr sein! Bleibt, wo ihr seid! Wir kommen!“

Er legte auf.„Wißt ihr, wer am Aasee tot in seinem Auto liegt? Der Rehberg!“ Lückmann begann krampfhaft zu schlucken und legte den Wurstzipfel zurück auf seinen Pappteller.

„Ruf die Spurensicherung an“, sagte Lenz.„Nach einem Herzinfarkt sieht das ganz und gar nicht aus!… Himmelreichallee. An der Ampel Ecke Hüfferstraße!“ Lückmann nickte. Mit einem schnellen Schluck leerte Lenz seinen Becher und zog sich die Anzugjacke an.„Kommen Sie, Sieglinde! Es geht schon los mit der Arbeit!“

Während wir im Aufzug zum Hof fuhren, fragte er völlig zusammenhanglos:„Wer in Ihrer Familie ist eigentlich auf die Idee gekommen, Sie nach einer gelben, festkochenden Kartoffelsorte zu nennen?“

Einen Augenblick war ich sprachlos. Sollte das ein Witz sein?

„Die Alternat