: Felix zu Löwenstein
: FOOD CRASH Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr
: Pattloch Verlag
: 9783629320421
: 1
: CHF 7,50
:
: Gesellschaft
: German
: 320
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Bio? Als Luxus für Reiche ist das ja ganz nett. Aber jetzt wird's ernst. Fast sieben Milliarden Menschen müssen ernährt werden, und es werden ständig mehr. Jetzt muss industriell produziert werden: mit Pestiziden, Kunstdünger, Gentechnik!' Diese These klingt doch nach gesundem Menschenverstand! Aber ist sie wirklich zutreffend? Oder gehen wir damit der Agrarindustrie auf den Leim, für die der Hunger in der Welt die Grundlage für ein florierendes Geschäft mit Pestiziden, Düngemitteln und Gentechnik-Saatgut ist? In seinem Buch FOOD Crash macht der international angesehene Fachmann für Ökolandbau Felix zu Löwenstein verständlich, dass eine industrielle Landwirtschaft, die auf der Übernutzung von Ressourcen aufbaut, kein Weg zur Lösung, sondern eine Sackgasse ist. Und dass nicht die mangelnde Produktionssteigerung, sondern der verschwenderische Umgang mit Lebensmitteln, die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen sowie mangelnde Gerechtigkeit zum Zusammenbruch des globalen Ernährungssystems führen. Mit seiner zugespitzten These »Wir werden uns entweder ökologisch ernähren oder gar nicht mehr« betreibt Löwenstein keine apokalyptische Schwarzmalerei. Vielmehr zeigt er an spannend und lebendig erzählten Beispielen, wie es im Einklang mit der Natur - und damit nachhaltig - gelingen kann, die Ernährungsgrundlage der Menschheit zu sichern. Und er beschreibt, welche Hebel politischen und privaten Handelns dafür in Bewegung gesetzt werden müssen.

Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Agrarwissenschaftler und Biolandwirt, wurde in eine traditionsreiche, weit verzweigte Familie geboren. Nach der Schulzeit am Jesuitenkolleg St. Blasien studierte Löwenstein an der agrarwissenschaftlichen Fakultät der TU München in Weihenstephan und schloss das Studium 1982 mit der Promotion ab. Nach einer dreijährigen Entwicklungshelfer-Tätigkeit auf Haiti übernahm er den elterlichen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb und stellte das Gut in Südhessen, das seit 500 Jahren im Besitz der Familie ist, auf Bio um. Löwenstein ist Landwirt im Anbauverband Naturland und Mitglied in dessen Präsidium. Als Vorstandsvorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) ist er politischer Vertreter der deutschen Bio-Branche und ein gefragter Redner.

Vom Winde verweht
und vom Wasser abgeschwemmt


Die Haitianer nennen einen kleinen Stein »Jèn roch«. Einen jungen Stein. Ich habe lange gebraucht, um herauszufinden, was es damit auf sich hat. Nicht dass mich der Beweis eines in unseren Augen etwas sonderbaren Naturverständnisses überrascht hätte. Spätestens seit unsere Köchin Jeanette mich herzlich und mitleidig ausgelacht hat, als ich behauptete, der Regenbogen sei kein Tier –natürlich ist er ein Tier, was denn sonst, um alles in der Welt! –, weiß ich, dass naturwissenschaftliche Erkenntnis nicht die einzig mögliche Quelle eines Weltbildes ist. Aber woher kommt die Erfahrung, die einen annehmen lässt, Steine würden wachsen, also klein sein, wenn sie jung sind, und dann größer werden?

Der Grund ist die Mutter aller Katastrophen auf diesem gebeutelten Teil der Insel Hispaniola: die Erosion. Es gibt einige Ebenen dort, die sind fruchtbar und wasserreich. Vor allem aber gibt es Berge. Irgendein berühmter Mann hat behauptet, Haiti sei ein zerknülltes Blatt Papier, das der liebe Gott auf die Erde geworfen hat. Auch der Name, den die Aufständischen 1803 nach der Befreiung aus der französischen Sklaverei ihrem neuen Land gegeben hatten, sagt das Gleiche. Er stammt aus der Sprache der damals längst ausgerotteten indianischen Ureinwohner und bedeutet schlicht »bergiges Land«. Haiti ist aber nicht nur bergiger als die Schweiz, es ist auch dichter bevölkert als Belgien. Die meisten Einwohner sind Bauern, und viele wirtschaften auf Hängen, die viel zu steil für den Ackerbau sind. Ich habe erzählt bekommen, dass es Flächen gibt, auf denen die Bauern sich anseilen, wenn sie mit der Hacke den Boden bearbeiten. Die vielen heftigen tropischen Regengüsse reißen den Boden mit sich, und dann beginnen sie zu wachsen, erst klein, dann groß: die Steine des unfruchtbaren Untergrundes. Wer die Insel überfliegt, sieht das ganze Ausmaß des Elends mit wenigen Blicken: verkarstete, kahle Berge, an den Mündungen der Flüsse weit ins Meer hinauswuchernde, Atompilzen nicht unähnliche braune Fahnen. Es hat gerade einmal vier bis sechs Generationen gebraucht, um aus einem fruchtbaren, waldbedeckten Eiland ein buchstäblich verwüstetes karges Land zu machen, das zum Armenhaus der Welt geworden ist. Nicht die starke Bevölkerungsdichte ist die wesentliche Ursache – auch Bali ist ähnlich dicht besiedelt. Viel hängt an der fehlenden Staatlichkeit einer Gesellschaft, die längst hätte eingreifen müssen. Auch die miserable Eigentumsverfassung trägt Schuld an der Misere: Wer keinen sicheren Rechtstitel auf ein Stück Land hat, der wird auf keinen Fall in Terrassen, Erosionsschutzwälle oder -hecken investieren. Denn dadurch macht er das Land wertvoller. Das wiederum ruft die Begehrlichkeit derer auf den Plan, die über mehr Macht und wenig Skrupel verfügen. Und dann ist nicht nur die Investition umsonst gewesen, sondern auch das Land weg. Das wissen die Menschen aus bitterer Erfahrung.

Und dann ist da das Weltbild, das Regenbögen für Tiere und Steine für wachstumsfähig hält. Es ist zwar schwer vorstellbar, aber es ist so: Den Bauern ist die Bedeutung der Erosion für den Verlust der Bodenfruchtbarkeit nicht bewusst. Oder jedenfalls nicht bewusst (und wichtig) genug, um trotz der obengenannten Schwierigkeiten etwas dagegen zu unternehmen.

Sollten Ihnen auf meine Schilderung hin diese Bauern jetzt dumm, träge und ungebildet vorkommen, dann bitte ich Sie, einen kurzen Denkstopp einzulegen. Wir müssen uns nicht zu viel auf unsere aufgeklärte Intellektualität einbilden. Denn schließlich haben wir verstanden, was uns die Klimaforscher über den Zusammenhang zwischen der Erderwärmung mit ihren Folgen und unserem Energieverbrauch vorrechnen. Aber wir intelligenten, agilen und gebildeten Europäer bringen es auch nicht ansatzweise zustande, diese Erkenntnis in Handeln umzusetzen.

Viele Menschen glauben inbrünstig daran, der Mensch werde schon etwas erfinden, wenn die Not groß genug sei. Das sei ihm schon immer gelungen, und das werde auch künftig für die Lösung unserer Probleme sorgen, ehe es zu spät ist. In Haiti kann man besichtigen, dass das eine Illusion ist. Dort ist der »point of no return« längst erreicht: Das Problem hat ein Ausmaß erreicht, das keiner Lösung mehr zugänglich ist. Der Boden, der im Meer ist, liegt dort und kehrt nicht zurück. Er vernichtet so ganz nebenbei im Bereich der Mündungen mehr und mehr die Fauna des Meeresbodens und damit die Reproduktionskraft ganzer Fischbestände. Und damit die Möglichkeit der Fischer, sich und ihre Mitmenschen durch Fischfang zu ernähren …

»Man braucht sich nicht wundern, wenn die Haitianer das Meer nehmen, wenn der Boden das Meer nimmt«, ist eine Formulierung, die nur die Bewohner der Insel verstehen können. »Pran