: Giora Feidman, Minka Wolters
: Du gehst, du sprichst, du singst, du tanzt Erinnerungen
: Pattloch Verlag
: 9783629320353
: 1
: CHF 10.00
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Geboren in Buenos Aires als Sohn eines Musikers, in den fünfziger Jahren nach Israel ausgewandert und seit vielen Jahren in der Welt zu Hause - Giora Feidman ist ein Grenzgänger, vor allem in der Musik. Er hat mit Benny Goodman Jazz und mit Astor Piazzolla Tango gespielt; er ist in der Musik George Gershwins ebenso heimisch wie in der Wiener Klassik eines Mozart oder Schubert. Zur Legende geworden ist er allerdings als Interpret der traditionellen jüdischen Musik, des Klezmer. In alldem wird deutlich: Giora Feidman ist mehr als ein Musiker - er ist ein Botschafter der Versöhnung und des Friedens zwischen den Völkern und Religionen. Das beweist auch das hohe Ansehen, das er in Deutschland genießt. Er ist in den deutschen Konzertsälen ein ebenso regelmäßiger Gast wie auf den Kirchentagen, und vielen Menschen ist er unvergesslich als der Klarinettist, der den Erfolgsfilmen Schindlers Liste, Jenseits der Stille und Comedian Harmonists eine musikalische Stimme gab. Du gehst, du sprichst, du singst, du tanzt von Giora Feidman: im eBook erhältlich!

Giora Feidman wurde 1936 als Sohn eines jüdischen Einwanderers in Buenos Aires geboren. Mit achtzehn bekam er sein erstes Engagement als Klarinettist am Teatro Colon, der renommiertesten Opernbühne Südamerikas. 1957 übersiedelte Feidman nach Israel, wo er für achtzehn Jahre Mitglied des Israel Philharmonic Orchestra war und als Solist unter anderem unter Leonard Bernstein, Raffael Kubelik und Zubin Mehta spielte. Zu Beginn der siebziger Jahre gab er seine ersten Klezmer-Konzerte. 1985 wurde er in Deutschland einem breiten Publikum bekannt, als er unter Peter Zadek an der Seite von Esther Ofarim in dem Stück 'Ghetto' einen Juden spielte. 2005 trat Feidman vor 800.000 Menschen auf, die sich anlässlich des Weltjugendtages auf dem Kölner Marienfeld versammelt hatten. Giora Feidman ist seit 1975 mit der Komponistin Ora Bat-Chaim verheiratet, die seit vielen Jahren auch seine Managerin ist.

Aus der Stille – in die Stille


Das Lied ist mein Koffer,

ist voller Erinnerung.

Mit diesem Gepäck

bin ich niemals allein.

 

 

 

 

 

Das Publikum hat Platz genommen, das Licht wird gedimmt, angeregte Gespräche weichen gespannter Erwartung und angestrengtem Flüstern. Ich stehe irgendwo an einer Saaltür, blicke von hinten auf die Zuhörer. Ich halte inne. In das leise Murmeln hinein spiele ich meinen ersten zarten Ton. Um mich herum breitet sich Stille aus. Langsam setze ich einen Fuß vor den anderen, spiele leise weiter. Immer mehr Zuhörer werden auf mich aufmerksam – stellen ihr Murmeln und Flüstern ein, werden ruhig. Mein Spiel ist nun nicht mehr zu überhören, alle im Saal sind bei mir, wenn ich die Bühne betrete. Ich habe die unsichtbare Grenze zwischen dem Publikum und mir überschritten, wir sind eine Einheit. Die Menschen sind bereit zu empfangen, was ich ihnen mit meinem Klarinettenspiel mitteilen möchte.

Dieser Einstieg ist mittlerweile zu einem Markenzeichen geworden. Ich brauchte einige Jahre, bis alle Konzertveranstalter das akzeptierten; immer wieder gab es Einwände.

Für mich ist dieser Anfang sehr wichtig. Ein Abend mit Menschen auf und vor der Bühne ist für mich jedes Mal eine spirituelle Erfahrung. Ich gehöre nicht zu jenen Künstlern, die ihre Musik in dem Bewusstsein präsentieren, da gibt es Menschen, die haben sehr viel Geld bezahlt für ihre Tickets, also stelle ich mich auf die Bühne und spiele, so gut ich es kann. In einer solchen »Kundenbeziehung« kann ich und will ich nicht den Alleinunterhalter geben. Ich spiele nicht Klarinette, weil ich den Menschen beweisen möchte, dass ich mein Instrument beherrsche. Sondern ich spiele Klarinette, um meine Gefühle mit den Menschen zu teilen. Ich singe Lieder, die tief in mir sind, und meine Klarinette ist das Mikrophon meiner Seele. Wenn sie seufzt, lacht, weint, trauert, jubelt, spricht sie mit den Menschen, versucht, Brücken zu bauen, und lädt ein, Teil der großen Familie zu werden, die sich für diesen einen Abend in diesem Konzertsaal versammelt hat.

Deshalb ist jedes Konzert, das ich spiele, das erste Konzert meines Lebens. Die Menschen sind andere, der Saal ist ein anderer, und ich selbst bin auch ein anderer. »Er kann einen Song so spielen, dass sich darin lauter geheimnisvolle Räume auftun – geflüsterte Gebete«, schrieb die WochenzeitungDIE ZEIT einmal über mich.

Wenn mir das in einem Konzert gelingt, dann war es ein guter Abend – für mich und für die Menschen, die mitgesungen, mitgebetet, mitgefühlt haben, für uns alle. Schließlich ist Musik die einzige Sprache, die alle Menschen verstehen. Diese Sprache muss uns niemand beibringen, wir alle haben sie in uns.

Das ist wohl der Grund, warum ich immer nur spielen und spielen und spielen möchte. Schon als kleiner Junge klimperte ich auf dem Klavier vor mich hin. Und als mein Vater eines Tages nicht zu Hause war, schlich ich mich in sein Zimmer und nahm mir eines seiner Instrumente. Relativ schnell gelang es mir, auch der Klarinette kleine Melodien zu entlocken. Natürlich bemerkte mein Vater schon kurz darauf, dass eines seiner Instrumente fehlte. Von dem Tag an unterrichtete er mich oder besser: Er zeigte mir, wie er mit der Klarinette spricht. Ich brauchte ihm nur zu folgen. Er war ein Naturtalent als Pädagoge. C D E F G A H sind nicht nur einfach Buchstaben, es sind Noten. Und jede Note ist ein Ton, eine Schwingung mit einer charakteristischen Färbung. Mein Vater hatte völlig recht: Eine Tonleiter ist mehr als die Aneinanderreihung von Tönen, es ist ein Lied. Ein wunderschönes Lied mit einem herrlichen Klang. Daraus wird Musik: eine Aneinanderreihung von Tonleitern und Intervallen.

Wenn man es so einfach vermittelt, empfinden Schüler das Spielen ihres Instruments nicht als mühsames, monotones Üben, sondern als ein Hervorbringen von wohlklingenden Tönen. Es gibt ja im Grunde keinen Unterschied zwischen Üben und Spielen. In beiden Fällen ist es Musik, die entsteht. »Eine Note ist eine Melodie«, sagte mein Vater immer. Was er meinte, wurde mir viel später klar, als ein Freund von mir, der keine Noten lesen konnte, sich ein Keyboard zulegte. Er konnte die Noten, die er spielte, ausdrucken. Ich bat ihn, einfach ein paar Tasten auf dem Keyboard zu drücken, und habe die Noten dann