ZWEITER AKT
(Dasselbe Zimmer. Oben in der Ecke beim Klavier steht der Weihnachtsbaum, geplündert, zerzaust und mit herabgebrannten Lichtern; Noras Hut und Mantel liegen auf dem Sofa.)
(Nora ist allein im Zimmer, sie geht unruhig auf und ab; schließlich bleibt sie am Sofa stehen und nimmt ihren Mantel.)
Nora (läßt den Mantel wieder fallen.)
Da ist wer!(Geht an die Tür, lauscht.) Nein,– niemand. Natürlich– heut am ersten Weihnachtstag kommt niemand,– und morgen auch nicht.– Aber vielleicht–(Öffnet die Tür und sieht hinaus.) Nein, nichts im Briefkasten. Ganz leer.(Geht durchs Zimmer.) Ach Unsinn! Er macht natürlich nicht ernst! So etwaskann doch nicht geschehen. Es ist unmöglich. Ich habe ja drei kleine Kinder.
(DieKinderfrau kommt mit einer großen Pappschachtel aus dem Zimmer links.)
Kinderfrau.
Endlich habe ich die Schachtel mit dem Maskenanzug gefunden.
Nora.
Schön. Stell' sie auf den Tisch
Kinderfrau (tut es.)
Er ist aber arg in Unordnung.
Nora.
Wenn ich ihn nur in hunderttausend Stücke zerreißen könnte!
Kinderfrau.
Aber nein! Man kann ihn sehr gut wieder herrichten; nur ein bißchen Geduld!
Nora.
Ja, ich will hin und Frau Linde holen, daß sie mir hilft.
Kinderfrau.
Schon wieder aus? In diesem garstigen Wetter? Frau Nora, Sie werden sich erkälten,– krank werden.
Nora.
Das wäre noch nicht das Schlimmste.– Was machen die Kinder?
Kinderfrau.
Die armen Würmerchen spielen mit ihren Weihnachtsgeschenken. Aber–
Nora.
Fragen Sie oft nach mir?
Kinderfrau.
Sie sind ja so daran gewöhnt, immer ihre Mama um sich zu haben.
Nora.
Ja aber, Anne-Marie, in Zukunft kann ich nicht mehr so viel mit ihnen zusammen sein wie bisher.
Kinderfrau.
Na, kleine Kinder gewöhnen sich ja an alles.
Nora.
Glaubst Du? Meinst Du, sie würden ihre Mama vergessen, wenn ich ganz wegginge?
Kinderfrau.
Behüte–, ganz weg!
Nora.
Du, Anne-Marie, sag' mir,– ich habe so oft darüber nachgedacht,– wie hast Du esübers Herz bringen können, Dein Kind zu fremden Leuten zu tun?
Kinderfrau.
Aber das mußte ich ja, wenn ich die Amme der kleinen Nora werden wollte!
Nora.
Ja, daß Du das aberwolltest?
Kinderfrau.
Wenn ich doch eine so gute Stelle kriegen konnte. Ein armes Mädchen, das ins Unglück gekommen ist, muß doch noch froh sein. Denn der schlechte Mensch hat ja nichts für mich getan.
Nora.
Aber Deine Tochter hat Dich doch gewiß vergessen?
Kinderfrau.
Ach nein, das hat sie nicht. Sie hat mir geschrieben, als sie konfirmiert wurde, und auch, als sie heiratete.
Nora (umarmt sie.)
Du alte Anne-Marie! Du bist mir eine so gute Mutter gewesen, als ich klein war!
Kinderfrau.
Die arme kleine Nora hatte ja keine andere Mutter als mich.
Nora.
Und wenn meine Kleinen nun keine andere mehr hätten, so weiß ich wohl, daß Du auch ihnen– Unsinn, Unsinn, Unsinn!(Öffnet die Pappschachtel.) Geh hinein zu ihnen. Ich muß jetzt– Du sollst sehen, wie schön ich mich morgen mache.
Kinderfrau.
Ja, auf dem ganzen Ball wird gewiß keine so schön sein, wie Frau Nora.(Links ab.)
Nora (beginnt die Schachtel auszupacken, wirft das Ganze aber bald wieder hin.)
Ach, dürft' ich nur ausgehen! Wenn nur keiner kommt. Wenn hier zu Hause inzwischem nur nichts passiert. Ach Unsinn. Wer soll denn kommen?! Nur nicht daran denken. Jetzt wird der Muff abgebürstet. Schöne Handschuhe. Schöne Handschuhe. Nimm's leicht! Nimm's leicht! Eins– zwei– drei– vier– fünf– sechs–(schreit auf.) Ach, da kommen sie–(will nach der Tür, bleibt unentschlossen stehen