: Linda Maria Koldau
: Titanic Das Schiff, der Untergang, die Legenden
: Verlag C.H.Beck
: 9783406624254
: 2
: CHF 7.50
:
: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 304
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Titanic - die ganze Wahrheit
Linda Maria Koldau rollt in ihrem glänzend geschriebenen Buch den Fall"Titanic" neu auf. Sie erklärt anschaulich, was wirüber den Luxusdampfer, seine Passagiere, die Umstände des Untergangs und das Wrack wissen und macht deutlich, warum die Katastrophe so viele anrührende Geschichten rund um Liebe und Tod hervorgebracht hat.
Montag, 15. April 1912, 2 Uhr 18: Die Titanic zerbricht drei Stunden nach der Kollision mit einem Eisberg und sinkt. Nur rund 700 der 2200 Passagiereüberleben. Die Umstände der Katastrophe werden aus Haftungsgründen verschleiert, Legendenüberdecken schnell das wahre Geschehen. Linda Maria Koldau hat die Dokumenteüber den Untergang neu gesichtet. Sie versteht es meisterhaft, die letzten Stunden auf dem schwimmenden Luxushotel lebendig werden zu lassen und dabei zu zeigen, welche realen Anknüpfungspunkte Legenden, Filme und Romane zur Titanic genutzt haben. So entstehtüber den Tatsachenbericht hinaus eine eindrucksvolle Kulturgeschichte der Schifffahrtskatastrophe, die bis in unsere Gegenwart reicht.



Linda Maria Koldau, Kulturwissenschaftlerin und Journalistin, ist Professorin für Musikwissenschaft und Kulturgeschichte an der Universität Aarhus in Dänemark. Einem größeren Publikum ist sie durch Artikel in der FAZ und zahlreiche Radiosendungen bekannt.

EINLEITUNG


Die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten?


Die Titanic war das größte Schiff ihrer Zeit und der Stolz der englischen White Star Line. Das mit Kohle betriebene Dampfschiff war das zweite von drei Schiffen der Olympic-Klasse, einer besonders luxuriös ausgestatteten Schiffsklasse, die White Star von der Werft Harland& Wolff in Belfast bauen ließ. Die Titanic war für den regulären Liniendienst zwischen Southampton und New York (über Cherbourg und Queenstown oder Plymouth und Cherbourg) bestimmt. Am 10. April 1912 trat sie ihre Jungfernfahrt nach New York an, erreichte jedoch nie ihr Ziel. Am 14. April gegen 23.40 Uhr kollidierte sie ungefähr dreihundert Seemeilen südöstlich von Neufundland mit einem Eisberg und sank nach zwei Stunden und vierzig Minuten.Über 1500 Menschen verloren bei dem Untergang ihr Leben; die rund 700Überlebenden, viele von ihnen auf Jahre traumatisiert, wurden in den Morgenstunden des 15. April von dem britischen Schiff Carpathia aufgenommen.

Der Untergang der Titanic gilt als die größte Schiffskatastrophe aller Zeiten. Das ist Unsinn. Seit 1912 sind zahlreiche größere Schiffe mit jeweils mehreren tausend Passagieren gesunken. Und selbst wenn man die Verluste in Kriegszeiten als«Kollateralschaden» der allgemeinen Kriegssituation ausklammert: Wer fragt nach den knapp 4400 Toten der philippinischen Fähre Doña Paz, die am 20. Dezember 1987 nach einer Kollision mit einemÖltanker innerhalb von zwei Stunden sank? Die Frage, warum ausgerechnet die Titanic so berühmt geworden ist, wird in Literatur und Medien seit Jahrzehnten erörtert. Eine Verkettung besonderer nautischer Umstände, eine sich verdichtende Konstellation gesellschaftlicher Konflikte auf beiden Seiten des Atlantiks, eine Verklärung des Untergangs, die noch vor dem Versinken des Hecks begann– all dies hat dazu beigetragen, dass der Untergang der Titanic zum Schiffsunglück schlechthin geworden ist, zum Symbol für den Hochmut einer zukunftsgläubigen Zivilisation, aber auch für Edelmut, Mitmenschlichkeit und Aufopferung.

Um die Titanic hat sich ein Mythos entwickelt, der aus der Kultur des 20. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken ist. Die Titanic war ein Schiff wie unzählige andere im harten Wettkampf um Passagiere, Geld und Renommee. Ausgerechnet ihr Untergang auf der Jungfernreise hat sie herausgehoben und zu einem Sinnbild für eine vergangene, bessere Welt gemacht. Dieser Mythos entstand nicht von ungefähr: Die Fakten und Ursachen der Katastrophe wurden verschleiert und beschönigt; dahinter standen die Interessen eines Konzerns und seiner Führung. Der Mythos machte aus dem Unglück eine Erzählung von Heldentum und tragischem Schicksal– ein Trost für die Hinterbliebenen und eine ewige Mahnung an die Lebenden.

Die Realität ist nüchtern: Sie folgt den Regeln des wirtschaftlichen Wettbewerbs, der technologischen Entwicklung und nautischer Professionalität. Die Atlantikschifffahrt war im frühen 20. Jahrhundert ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, da sie im Passagier- und Güterverkehr die einzige Verbindung zwischen Europa und Amerika darstellte. Die White Star Line stand in harter Konkurrenz zu anderen Reedereien; vor diesem Hintergrund entstand die Idee der Olympic-Klasse– noch größere und noch luxuriösere Schiffe, um sowohl die Masse der Emigranten als auch die zahlungskräftige Oberschicht anzuziehen. So spiegelte die Titanic schon in ihrer Konstruktion die Klassen der Gesellschaft– ein Luxushotel mit mehreren Stockwerken, klaren Schranken zwischen den verschiedenen Klassen und deutlichem Abstand zwischen Personal und Passagieren. Die Titanic verkörperte das