: Vandana Shiva
: Jenseits des Wachstums Warum wir mit der Erde Frieden schließen mu?ssen
: Rotpunktverlag
: 9783858696045
: 1
: CHF 15.10
:
: Politik, Gesellschaft, Wirtschaft
: German
: 272
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Im 21. Jahrhundert plu?ndert eine dem grenzenlosen Wachstum verpflichtete globalisierte Wirtschaft die Erde und ihre Ressourcen in schier unersättlicher Weise: Weltweit werden Wälder, Wasser, fruchtbare Böden und Saatgut einer radikalen Marktlogik folgend patentiert, privatisiert, ausverkauft. Die ökologischen Kosten werden den lokalen Gemeinschaften - und, global betrachtet: uns allen - aufgebu?rdet. Vandana Shiva fordert einen Paradigmenwechsel: Schließen wir Frieden mit der Erde! Indien wird gern als Paradefall einer boomenden Wirtschaftsnation herangezogen. Am Beispiel ihrer Heimat erzählt die mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Wissenschaftlerin von wirtschaftlichen Megaprojekten und davon, wie Bauern und Umweltaktivisten ihr Recht auf ein eigenbestimmtes, nachhaltiges Leben und Arbeiten mit aller Kraft verteidigen. Shiva mahnt uns: Augen auf! angesichts der ökologischen und sozialen Folgen des Raubzugs gegen die Erde - ein aufru?ttelnder Appell gegen das zukunftsblinde »Weiter so«. Dieses Buch basiert auf einem Vortrag Vandana Shivas an der Universität Cambridge vom Fru?hjahr 2012. Es ist die Essenz einer herausragenden Denkerin unserer Zeit.

Vandana Shiva, geboren 1952 in Indien, Physikerin und Philosophin, zählt zu den herausragenden Denkerinnen unserer Zeit, wenn es um die Themen Umwelt, Frauenrechte und dezentralisierte Ökonomie geht. Ihr Wirken als Wissenschaftlerin und Aktivistin wurde u. a. mit dem Alternativen Nobelpreis gewu?rdigt. Im Rotpunktverlag erschienen: Der Kampf um das blaue Gold (2. AUflage 2005), Geraubte Ernte (2. Auflage 2011), Erd-Demokratie (2006) sowie Leben ohne Erdöl (2009).

2Der große Landraub


Die Erde, wo das Meer und die Flüsse und das Wasser, wo die Nahrung und die Völker der Menschen entsprangen, wo das atmende, sich bewegende Leben ist.

Aus der Prithvi Sukta,
einer Hymne aus der hinduistischen Textsammlung Atharva Veda

Land ist Leben. Es ist die Lebensgrundlage für die Bauern und die indigenen Völkerüberall in der Dritten Welt, und es ist auch auf dem besten Weg, zum wichtigsten Wirtschaftsgut in der globalenÖkonomie zu werden. Weil die Nachfrage nach Ressourcen in der Globalisierung ständig größer wird, ist Land zum Hauptschauplatz der Konflikte geworden. Die globale Wirtschaft, die durch Finanzspekulationen und maßloses Konsumverhalten angetrieben wird, braucht Land für den Bergbau und die Industrie, für Städte, Autobahnen und Biotreibstoff-Plantagen. Die spekulativeÖkonomie der globalen Hochfinanz ist um einiges größer als der Wert der realen Güter und Dienstleistungen, die auf der Welt produziert werden. Das Finanzkapital hungert nach Investitionen und nach Gewinnen aus diesen Investitionen. Es muss alles und jedes auf dem Planeten zur Ware machen und vermarkten– Land und Wasser, Pflanzen und Gene, Mikroben und Säugetiere. Die Reduzierung von Land auf ein Wirtschaftsgut treibt in Indien den Landraub, dasLand Grabbing durch die Unternehmen an. Und zwar sowohl durch die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen als auch durch ausländische Direktinvestitionen in Ländereien. Land gehört für die meisten Menschen auf der Welt zur Identität eines Volkes, es ist die Basis von Kultur und Wirtschaft. 75 Prozent der Menschen in der Dritten Welt leben auf dem und vom Land– die Erde ist der größte Arbeitgeber unseres Planeten.

Das Prinzip der Sonderwirtschaftszonen

In Indien wird der Landraub durch eine toxische Mischung aus Politik und Justiz erleichtert: Das koloniale Landerwerbsgesetz von 1894, der sogenannte Land Acquisition Act, spielt zusammen mit der Deregulierung von Investition und Handel durch die neoliberale Politik und mit dem Aufkommen einer Herrschaft von unkontrollierter Gier und Ausbeutung. Die Weltbank arbeitet schon seit vielen Jahren daran, dass Land für Profit vermarktet werden kann. 1991 machten die Strukturanpassungsprogramme die Landreform rückgängig und deregulierten den Bergbau sowie die Straßen und Häfen Indiens. Während die Gesetze des unabhängigen Indien, das das Land in den Händen der Bauern belassen wollte, zurückgenommen oder geändert wurden, blieb das Landerwerbsgesetz aus dem Jahr 1894 unangetastet. Der Staat konnte sich also weiterhin das Land der Bauern und der indigenen Bevölkerung mit Zwang aneignen und dann an private Spekulanten, Immobilienhändler, Bergbauunternehmen oder Industriebetriebe weitergeben. In ganz Indien, von Battha in Uttar Pradesh bis nach Jagatsinghpur in Orissa und Jaitapur in Maharashtra, hat die Regierung unseren Bauern den Krieg erklärt, um deren fruchtbares Land zu rauben. Sie wendet dabei das Landerwerbsgesetz von 1894 an: zugunsten des Großkonzerns Jai Prakash Associates in Uttar Pradesh, für die Yamuna-Autobahn oder für den Bau luxuriöser Villenviertel in der Industriestadt Noida, zugunsten des koreanischen Stahlgiganten POSCO in Orissa oder des französischen Energiekonzerns Areva in Jaitapur. Die Bauern haben 2011 gegen die ungerechte Landnahme protestiert. Vier Menschen wurden getötet und viele beim Zusammenstoß zwischen Demonstranten und der Polizei verletzt.

Geld kann den Verlust von Land und Boden nicht kompensieren. Parshu Ram, ein achtzigjähriger Bewohner des Dorfes Acheja, der sein Land an die Yamuna-Autobahn verloren hatte, sagte:»Ein Außenstehender kann niemals verstehen, was es heißt, landlos zu werden.« Die Regierung hat den Bauern ihren Boden für umgerechnet etwa fünf US-Dollar Entschädigung pro Quadratmeter weggenommen. Von den Bauträgern wird derselbe Quadratmeter für 10 000 US-Dollar