: Matthias Eckoldt
: Letzte Tage Boxerroman
: Dittrich Verlag
: 9783943941487
: 1
: CHF 8.90
:
: Spannung
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Toni, früher DDR-Landesmeister im Boxen, ist ein erfolgreicher Profitrainer: Er formt aus wütenden jungen Männern zukünftige Champions. Boxen ist Tonis Leben, und so schließt er mit dem undurchsichtigen Box-Manager Bornemeyer einen Vertrag. Zu Tonis hoffnungsvollen Talenten zählt Alex. In kurzer Zeit führt er ihn zum Europameistertitel. Zum Champion aufgestiegen, zeigt Alex allerdings im Kampf gegen seinen Herausforderer Schwäche und gibt ohne Not auf. Neben Alex wirkt Rico wie ein jüngerer Bruder. Toni hat ihn schon als 14-Jährigen in sein Camp und in sein Haus geholt. Rico bringt dem väterlichen Trainer grenzenloses Vertrauen entgegen. Die Wut über den frühen Verlust des eigenen Vaters hat er in seinen Fäusten. Doch dann unterbreitet Bornemeyer - selbst unter Druck - Toni einen unsittlichen Vorschlag: Rico soll in einem spektakulären Schaukampf den haushohen Favoriten Alex herausfordern - Bruder gegen Bruder im Kampf um die Europameisterschaft. Millionen Zuschauer sollen das Duell bei einer Fernsehübertragung verfolgen. Es geht um das ganz große Geld. Toni muss sich entscheiden. Soll er seinen Vertrag hinschmeißen, das Boxen, seine Existenz, aufs Spiel setzen? Oder soll er, wie es Bornemeyer von ihm fordert, den überlegenen Alex auf den ungleichen Faustkampf vorbereiten? Er zaudert. Doch hat der Verrat an sich selbst nicht schon viel früher begonnen? Damals, als sein bester Freund nach dessen Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR in Schwierigkeiten geriet? Der Treuebruch an seinen 'Söhnen' wird folgen. Es kommt zum Showdown. Sportliche Werte des Rings, Respekt und Fairness, gelten unter Bornemeyers Ägide nicht. Und Toni hat seine Prinzipien längst im Alkohol ertränkt. Im Boxerroman von Matthias Eckoldt ist jeder Satz ein Treffer. Seine Worte kommen wie Boxschläge, kraftvoll und präzise, wenn er die Duelle im Ring beschreibt. Die schwitzenden Körper, die jubelnde Menge, die Spannung, bevor der Gong ertönt, die krachenden Haken. Der Autor weiß, w

Geboren 1964 in Berlin. Promovierte über Systemtheorie und Machtanalytik. Lebt als Schriftsteller und Dozent in Berlin. 2000 erschien sein Roman 'moment of excellence', 2007 legte er eine systemtheoretische Abhandlung 'Medien der Macht-Macht der Medien' vor. 2009 folgte der Erzählband 'Topidioten'. Des Weiteren veröffentlichte er zahlreiche Rundfunk-Essays sowie Hörspiele und lehrt als Schreibdozent an der FU Berlin. Bei einem vierteljährigen Boxtraining studierte er die Einsamkeit des Faustkämpfers im Ring aus der Nähe und stellte zugleich fest, dass ihm die Einsamkeit am Schreibtisch näherliegt.

WUT


Toni brauchte diesen Geruch nach Leder, Gummi und Schweiß, das Adrenalin, die Spuren der Seile auf dem Rücken seiner Boxer, den knirschenden Mundschutz, das Hetzen, Anfeuern, Schinden, das Handtuch um seinen Hals, das Rechnen, die Endlosschleifen beim Videostudium, das Grübelnüber neue Kombinationen, den Sandsack, gegen den er sich stemmte, wenn seine Boxer richtig in Fahrt kamen und er sie anschrie, weil sie ihn sonst nicht mehr hörten, die gespenstische Ruhe fünf Minuten bevor er die Kabinentür aufstieß und sie durch die Katakomben liefen, raustraten vor die Menge, den verspannten Nacken seines Boxers, den er lockerte bis zum ersten Gong. All das brauchte er, um leben zu können, und er brauchte seinen Trainingsanzug, den er ohne Vertrag nicht anziehen könnte. Da käme sich Toni wie ein Scharlatan vor. Aber um ihn ging es vorerst nicht.

Es ging um Rico.

Als Toni ihn das erste Mal sah, fiel ihm gleich seine Haltung auf. Wenn Rico boxte, lag er windschief nach vorn gebeugt, wie die vier rostigen Stangen auf dem Schulhof, um die der Sportlehrer gelbes Band geknotet hatte. Zu Ehren von Tonis Besuch in jenem kleinen ostdeutschen Dorf. Die Termine bei seiner Talentsuche hielt er sonst so kurz wie möglich, doch diesem Jungen sah er fast eine Stunde beim Boxen zu. Rico hatte eine so präzise Achse im Körper, dass er die ganze Wucht seiner Schwerkraft hinter die Fäuste bekam. Dafür trainierten andere jahrelang. Allerdings boxte Rico das, was Toni als Telegrafenstil bezeichnete: Er stocherte mit seiner Führhand in der Deckung des Gegners herum und feuerte in unregelmäßigen Abständen seine Rechte ab. Egal, ob eine Lücke da war oder ob der Schlag einfach an der Deckung krepierte. Dabei holte er aus wie ein Speerwerfer. So waren seine Schläge hart, aber vorhersehbar:»Willst du Boxer werden?«, hatte Toni ihn gefragt.

»Na klar!«

»Dann hör auf, deine Schläge durchzutelegrafieren. Wenn du so boxt, kannst du höchstens deinen Gegner einschläfern, aber nicht umhauen.«

»Von wegen! Ich gewinne doch andauernd.«

»Zufall!« Das stimmte natürlich nicht. Toni hatte gesehen, was Rico mit seinen Fäusten anrichten konnte– und das, so schätzte er, mit gerade einmal zwanzig Prozent seiner Möglichkeiten. Er holte ihn in die Boxerklasse der Kinder- und Jugendsportschule. Rico gefiel, dass er nur noch zwei Mal in der Woche Unterricht hatte und ihn niemand mehr mit Hausaufgaben quälte. Ab jetzt stand Boxen an erster Stelle, und Sitzenbleiben gab es an dieser Schule nicht.

Beim ersten Einzeltraining band er Ricos linken Arm am Körper fest.

»Jetzt will ich eine saubere Führhand sehen! Los, los, los!«

Rico brachte nicht einen vernünftigen Schlag mit der Rechten raus. Die Plattformbirne bekam er gar nicht in Gang. Zumeist saß nur die erste Faust, dann irrte seine Hand tapsig wie die eines Linkshänders umher. Toni musste lachen.

»Rico, das ist kein Luftballon. Und du bist hier nicht beim Kindergeburtstag! Hau ran, mein Junge! Mach mir einen vernünftigen Rhythmus!«

»Nö. Ich schaff das nicht!« Rico ließ die Rechte sinken. Noch nie schien ihn jemand gefordert zu haben, und so tat Rico nur das, was ihm zufiel. Aber damit war jetzt Schluss. An Ricos Genörgel mochten seine Eltern verzweifelt sein, sicher auch die Lehrer in der Schule, aber nicht Toni. Er wusste genau, wie er ihn dort hin bekam, wo er ihn haben wollte.

»Habe ich gesagt, dass Pause ist? Mach weiter. Lass das Bällchen hüpfen!«

»Es klappt nicht. Verdammte Scheiße.« Rico schlug mit solcher Wucht gegen die Boxbirne, dass es schepperte. Der Lederball flog zurück und traf Rico an der Stirn.

So lief es gut. Training fing für Toni erst dort an, wo es wehtat. Alles andere war nur Amüsement. Freizeitsport.

»Haben wir ein großes Ziel?«

Als Rico leise vor sich hin maulte, fasste ihn Toni im Nacken:»Guck mich an! Haben wir ein großes Ziel?«

Rico nickte. Dabei lief ihm eine Träne die Wange herunter.

»Ich höre nichts, verdammt. Haben wir ein großes Ziel?«

»Ja.«

»Ich versteh dich nicht!«

»Ja!«, schrie Rico.

»Dann lass uns arbeiten.« Toni stellte sich hinter ihn und führte seine Hand. Die Tränen liefen, und der Ball begann zu tanzen.»Und jetzt dranbleiben, mein Junge.«

Nach zwei Wochen Training nahm Toni ihn zum ersten Mal mit in die große Halle. Als Rico den Boxring sah, wie er im staubigen Licht der Mittagssonne vor ihm lag, musste er grinsen. Drei Runden