: David Mitchell
: Die tausend Herbste des Jacob de Zoet
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644044715
: 1
: CHF 10.00
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 720
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
«Ein Schmöker für das 21. Jahrhundert» (DIE WELT) - vom Autor des Weltbestsellers Der Wolkenatlas Ein junger holländischer Kaufmann kommt 1799 nach Dejima, dem einzigen europäischen Handelsposten im hermetisch abgeriegelten Japan. Auf der von Geschäftemachern und zwielichtigen Gestalten bevölkerten künstlichen Insel hofft er, sein Glück zu machen. Durch die Liebe zu einer Japanerin eröffnet sich Jacob de Zoet unversehens eine geheimnisvolle Welt und zeigt ihre Schönheiten. Doch das fremde Land hält auch Schrecken bereit, Verrat, Intrige und Mord ... «David Mitchell gehört zu den besten englischen Romanautoren der Gegenwart.» (Die Zeit) «David Mitchell legt hier seinen bislang mitreißendsten Roman vor ... Ein berührender Schluss unterstreicht seine Meisterschaft nicht nur in Sachen literarisches Feuerwerk, sondern auch in den leiseren Künsten der Einfühlung und des traditionellen Erzählens.» (The New York Times) «Ein literarischer Reisetraum und eine sprachliche Orgie.» (Der Spiegel) «Eine prächtige historische Wunderkammer.» (die tageszeitung)

David Mitchell, geboren 1969 in Southport, Lancashire, studierte Literatur an der University of Kent, lebte danach in Sizilien und Japan. Er gehört zu jenen polyglotten britischen Autoren, deren Thema nichts weniger als die ganze Welt ist. Für sein Werk wurde er u.a. mit dem John-Llewellyn-Rhys-Preis ausgezeichnet, zweimal stand er auf der Booker-Shortlist. 2011 erhielt er den Commonwealth Writers' Prize für «Die tausend Herbste des Jacob de Zoet», 2015 den World Fantasy Award für «Die Knochenuhren». Sein Weltbestseller «Der Wolkenatlas» wurde von Tom Tykwer und den Wachowski-Geschwistern verfilmt. David Mitchell lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Clonakilty, Irland. Times, Guardian und Sunday Express wählten «Utopia Avenue» (dt. 2022) zum «Book of the Year».

IDas Haus von Kawasemi der Konkubine, oberhalb von Nagasaki



Die neunte Nacht des fünften Monats

«Fräulein Kawasemi?» Orito kniet auf dem feuchten, muffigen Futon. «Hören Sie mich?»

Im Reisfeld hinter dem Garten bricht lärmend ein Froschkonzert los.

Orito tupft der Konkubine mit einem Lappen den Schweiß vom Gesicht.

«Sie spricht kaum noch», die Zofe hält die Öllampe, «schon seit Stunden …»

«Fräulein Kawasemi, mein Name ist Aibagawa. Ich bin Hebamme. Ich will helfen.»

Kawasemi öffnet mühsam die Augen. Sie seufzt schwach. Ihre Augen fallen wieder zu.

Sie ist so erschöpft, denkt Orito,dass sie sich nicht einmal vor dem Sterben fürchtet.

Dr. Maeno flüstert durch den Musselinvorhang. «Ich wollte die Lage des Fötus selbst untersuchen, aber …», der alte Gelehrte wählt seine Worte mit Bedacht, «… aber das ist anscheinend nicht gestattet.»

«Ich habe klare Befehle», sagt der Kammerherr. «Kein Mann darf sie berühren.»

Orito hebt das blutbefleckte Laken und sieht den Arm des Fötus, der, wie man ihr vorher berichtet hat, bis zur Schulter aus Kawasemis Vagina hängt.

«Haben Sie schon mal eine solche Kindslage gesehen?», fragt Dr. Maeno.

«Ja: auf einer Kupfertafel, in der niederländischen Abhandlung, die mein Vater übersetzt hat.»

«Das habe ich gehofft! DieBeobachtungen von William Smellie?»

«Ja. Dr. Smellie nennt es», Orito wechselt ins Niederländische, «‹Armvorfall›.»

Orito nimmt das schleimbeschmierte Handgelenk des Fötus, um den Puls zu fühlen.

Maeno fragt, diesmal auf Niederländisch: «Wie lautet Ihr Befund?»

Es ist kein Puls vorhanden. «Das Kind ist tot», antwortet Orito in derselben Sprache, «und auch die Mutter wird sterben, wenn sie nicht schnell entbunden wird.» Sie legt die Fingerspitzen auf Kawasemis schwangeren Bauch und tastet den Bereich um den vorgestülpten Nabel ab. «Es war ein Junge.» Sie kniet sich zwischen Kawasemis gespreizte Beine, bemerkt das schmale Becken und hält die Nase an die geschwollenen Schamlippen: Sie riecht die malzige Mischung aus geronnenem Blut und Exkrementen, aber nicht den Gestank eines verwesten Fötus. «Er ist vor ein bis zwei Stunden gestorben.»

Dann fragt sie die Zofe: «Wann ist die Fruchtblase geplatzt?»

Die Zofe ist vor Staunen über die fremde Sprache verstummt.

«Gestern Morgen, in der Stunde des Drachen», sagt der Haushalter mit steinerner Stimme. «Kurz darauf setzten die Wehen ein.»

«Und wann hat das Kind zum letzten Mal gestrampelt?»

«Das muss heute um die Mittagszeit gewesen sein.»

«Dr. Maeno, würden Sie mir zustimmen, dass das Kind» – Orito verwendet die niederländische Bezeichnung – «in Querlage liegt?»

«Vielleicht», antwortet der Arzt in ihrer Geheimsprache, «aber ohne Untersuchung …»

«Der Fötus ist seit zwanzig Tagen überfällig. Mindestens. Er hätte sich drehen müssen.»

«Kind schläft», beruhigt die Zofe ihre Herrin. «Nicht wahr, Dr. Maeno?»

Der wahrheitsliebende Arzt zögert. «Das … wäre möglich.»

«Mein Vater hat erzählt», sagt Orito, «Dr. Uragami habe die Geburt beaufsichtigt.»

«Das hat er auch getan», brummt Maeno, «allerdings bequem von seinen Behandlungsräumen aus. Als das Kind zu strampeln aufhörte, konstatierte Uragami, dass seine Seele sich aus Gründen der Geomantik gegen die Geburt sträube, ein Phänomen, das nur für einen Mann von seinen Geistesgaben zu erkennen sei. Alles hänge daher von der ‹Willenskraft› der Mutter ab.»Der Schweinehund – Maeno braucht es nicht auszusprechen –fürchtet sich davor, seinen Ruf zu schädigen, wenn er das Kind eines so erlauchten Mannes tot zur Welt bringt. «Daraufhin überzeugte Kammerherr Tomine den Statthalter, mich herbeizuholen. Als ich den Arm sah, fiel mir Ihr schottischer Arzt ein, und ich forderte Ihre Hilfe an.»

«Mein Vater und ich fühl