: Diederichs Verlag, Felix Karlinger
: Märchen aus Mallorca
: Diederichs Verlag
: 9783641139421
: 1
: CHF 4.40
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: Märchen, Sagen, Legenden
: German
Mallorca ist seit jeher Vermittler zwischen Abendland und Morgenland, und so hinterließen Phönizier, Karthager, Römer und Vandalen Spuren in den hier versammelten 33 Märchen. Allen Geschichten eigen ist ein scharfer Kontrast zwischen Wirklichkeitssinn und fantastischem Zauber. Stets überwiegt die Gnade des Optimismus, der die Insel nie verlassen hat.

Die Diederichs-Reihe 'Märchen der Weltliteratur' ist die umfassendste Sammlung ursprünglicher Erzählliteratur aller Völker und Zeiten. Sie versammelt das Schönste, was sich die Menschen je erzählt haben: Mythen und Legenden, Göttersagen und Dämonengeschichten, Feen- und Zaubermärchen, gewitzte Tierfabeln und herrliche Schwänke. Wer die Eigenart anderer Völker verstehen will, wird hier Wege abseits des Mainstreams finden. Eine moderne Märchenbibliothek für eBook-Leser.

1. Die Feuerbläserin


Es gab einen Mann, der Witwer war und eine sehr schöne Tochter hatte, der heiratete von neuem. Die Stiefmutter konnte das Mädchen nicht ausstehen und quälte es sehr, bis sie es eines Tages aus ihrem Hause fortjagte. Das Mädchen weinte und weinte immerfort, dachte sich als Dienstmädchen zu verdingen, und als es zu diesem Zwecke ein Haus aufsuchen wollte, erschien ihm eine sehr schöne Frau und fragte, warum es so viel weine; es erzählte ihr, daß die Stiefmutter es weggeschickt habe und daß es sich jetzt verdingen wolle. Jene Dame tröstete es und gab ihm zwei Flaschen, indem sie sagte:»Wenn du dich mit dem Wasser der einen Flasche wäschest, wirst du sehr garstig werden, aber wenn du es aus der anderen nimmst, wirst du wieder sehr schön werden.«

Jene Dame gab ihr auch drei Mandeln, damit es sieöffnen könne, wenn es einen Wunsch habe. Sie wusch sich mit dem Wasser der ersten Flasche, ging fort in ein Haus und sagte:»Guten Tag, könnt ihr nicht ein Dienstmädchen brauchen?« –»Nein, wir brauchen keines«, antwortete die Dame.

Die Köchin, welche dem Mädchen aufgemacht hatte, sagte zur Frau:»Dame, ich glaube, Sie sollten sie nehmen, sie wird wenigstens zum Feueranblasen zu gebrauchen sein.«

Sie blieb im Hause, und alle hießen sie die Feuerbläserin. Eines Tages sagte die Dame:»Feuerbläserin, decke doch den Tisch.« Und sie deckte auf und vergaß das Salznäpfchen daraufzusetzen.»Feuerbläserin, das Salznäpfchen!« schrie der Herr, der ein Sohn der Dame war. Die Feuerbläserin brachte ihm gleich das Salznäpfchen.

Am folgenden Tage deckte sie wieder auf und vergaß, eine Gabel zu legen.»Feuerbläserin, Salznäpfchen und Gabel fehlen auf dem Tische«, schrie wieder der Herr, und die Feuerbläserin brachte ihm die Gabel.

Der Herr konnte das Mädchen nicht leiden und wollte es nicht dulden. Inzwischen ereignete es sich, daß man einen Ball in jenem Dorfe gab, auf den der Herr ging. Die Feuerbläserin ging zur Dame und bat sie, daß sie ihr erlaube, ebenfalls hinzugehen, und die Dame sagte ihr:»Nein, mein Sohn soll hingehen, und wenn er dich sehen würde, möchte er sichärgern.«–»Dämchen, laßt mich gehen, er wird mich nicht erkennen.«–»Nein«, sagte wieder die Dame,»wenn er es erfahren würde, möchte er sichärgern.«

»Lassen Sie mich gehen, Dämchen, ich versichere Ihnen, daß er mich nicht erkennen wird.«

Sie bat so viel, bis schließlich die Dame es zugab.

Sie ging nun weg, wusch sich mit dem Wasser aus jener Flasche, das schön machte, zerschnitt eine der Mandeln, die jene Dame ihr gegeben hatte; darin war ein rosenfarbiges Kleid, das zog sie an und ging auf den Ball.

Der Herr, der schon anwesend war, kam gleich, wie er sie sah, auf sie zu, sagte ihr, daß er mit ihr tanzen wolle, und schenkte ihr ein Armband. Als der Ball zu Ende war, wollte der Herr sie um jeden Preis heimbegleiten, und sie wollte dies auf keinen Fall; endlich sagte sie ihm, daß, wenn er sie nicht begleite, so werde er sie am folgenden Tag auf einem anderen Balle sehen, und sie versicherte ihm, daß sie dahin kommen werde. So verabredeten sie es, und sie eilte schnell davon, wusch sich wieder mit dem Wasser, welches häßlich werden ließ, und legte sich zu Bette. Als der Herr nach Hause kam, schlief sie schon, und er konnte nichts bemerken.

Am folgenden Morgen ging der Sohn zur Mutter.»Jesus, meine Mutter! Was für ein schönes Mädchen habe ich auf dem Ball gesehen, ich bin in dasselbe verliebt und ich will es heiraten.« –»Aber wer ist sie?« –»Ich weiß es nicht, sie war mir unbekannt, aber sie hat mir versprochen, daß sie heute Abend wieder auf den Ball kommen wird und daß wir uns sehen werden.«

Als es Abend war, kam die Feuerbläserin wieder zur Dame.»Liebe Dame, er hat mich nicht erkannt, laßt mich auch heute hingehen.« –»Nein, wenn er dich erkennen möchte, würde er sichärgern, daß ich dich hingehen ließ.« –»Dämchen, er wird mich nicht kennen, lasset mich hingehen.« So lange bat sie, bis es ihr erlaubt wurde, wieder hinzugehen.

Sie ging weg, wusch sich mit dem Wasser aus der Flasche, das schön machte, zerschnitt eine andere Mandel und fand darin ein ganz rotes Kleid. Sie zog es an und ging zum Balle.

Der Herr, als er sie sah, setzte sich gleich an ihre Seite, sagte ihr abermals, daß er mit ihr tanzen wolle, und schenkte ihr Ohrgehänge.

Als es Zeit war heimzugehen, wollte er sie begleiten, sie erlaubte es ihm nicht und sagte ihm, daß, wenn er sie nach Hause begleite, sie nicht mehr kommen würde, er solle sie allein gehen lassen, und sie würde am folgenden Tag, an dem der letzte Ball wäre, wiederkommen. Er stimmte zu, nur um sie auf dem kommenden Ball wiedersehen zu können.

Als sie wieder zu Hause war, wusch sie sich mit dem anderen Wasser und legte sich zu Bette, ohne daß jemand etwas bemerkte.

Am folgenden Tag ging sie zur Dame und sagte zu ihr:»Dame, er hat mich nicht erkannt, ich bitte, laßt mich heute Nacht wieder dahin.« –»Nein, denn er wird dich diesmal erkennen, und wenn er erfährt, daß ich dich hingehen ließ, wird er sichärgern.« –»Dämchen, lasset mich noch den letzten Abend hingehen, er wird mich nicht erkennen.«

Sie bat so lange, bis sie sie gehen ließ.

Am Abend wusch sie sich wieder mit dem Wasser, welches schön machte, zerschnitt die andere Mandel, und darin war ein Kleid, ganz himmelfarbig und mit Gold gestickt, sie zog es an und ging zum Ball.

Dort kam der Herr, sowie er sie sah, zu ihr, setzte sich an ihre Seite, tanzte den ganzen Abend mit ihr und schenkte ihr ein Brustnädelchen. Weil es der letzte Ball war, wünschte er sehr, sie nach Hause zu begleiten, um zu erfah