11. Kapitel
Das Getrenntleben von Ehegatten
1. Bedeutung
Bevor es zu einer Scheidung kommt, haben sich die Eheleute meist schon faktisch getrennt. Gewöhnlich zieht einer der Partner, der es nicht mehr aushält, aus der ehelichen Wohnung aus und lebt bei Verwandten oder Bekannten oder mietet für sich ein Appartement. Das Gesetz nennt den Zustand der faktischen Trennung„Getrenntleben“. Das Getrenntleben ist das typische Vorstadium der Scheidung. Manchmal ziehen es die Partner gestörter Ehen aus gesellschaftlichen oder religiösen Gründen vor, von der Scheidung abzusehen, und machen das„Getrenntleben“ zu einem Dauerzustand.
Obwohl es sich um ein bloß tatsächliches Geschehen handelt, kommt dem Getrenntleben erhebliche rechtliche Bedeutung zu,über die man sich von vornherein Gedanken machen sollte.
- Eine wichtige Rolle spielt das Getrenntleben im– meistens folgenden–Scheidungsverfahren . Im Regelfall kann eine Ehe erst geschieden werden, wenn die Ehegatten schon ein Jahr getrennt leben2(§ 1565 Abs. 2 BGB); nur in Ausnahmefällen darf das Gericht von diesem Erfordernis absehen (dazu S. 28 ff.). Darüber hinaus erleichtert das Getrenntleben die Scheidung: Wenn die Ehegatten drei Jahre getrennt leben, wird das Scheitern, d. h. die unheilbare Zerrüttung der Ehe unwiderleglich vermutet (§ 1566 Abs. 2 BGB). Die gleiche Vermutung gilt, wenn beide Partner die Scheidung wollen und mindestens ein Jahr getrennt leben (§ 1566 Abs. 1 BGB). Generell ist Getrenntleben ein Indiz dafür, dass das eheliche Verhältnis tiefgreifend gestört ist.
- Das Getrenntleben ist ein scheidungsähnlicher Zustand. Es ergeben sich daher ganzähnlicheRegelungsbedürfnisse wie bei der Scheidung: Wer soll die Ehewohnung weiter bewohnen dürfen? Wie wird die Benutzung des Hausrats geregelt? Bei welchem Elternteil leben die Kinder, wer hat das Sorgerecht? Wer muss für den Kindesunterhalt aufkommen? Hat ein Ehegatte einen Unterhaltsanspruch für seinen eigenen Lebensbedarf gegen den anderen, da ja nun nicht mehr aus einem Topf gewirtschaftet wird? Gibt es schon bei Getrenntleben eine Möglichkeit, vom Partner Vermögensausgleich zu verlangen?
Diese Fragen werden wir im Zusammenhang mit den einzelnen Trennungs- und Scheidungsfolgen näher behandeln. Wichtig ist, dass man von vornherein daran denkt. Denn oft bestimmen die Verhältnisse, die sich während des Getrenntlebens ergeben, auch die Scheidungsfolgen: Es werden Fakten geschaffen, die später schwer aus der Welt zu bringen sind.
BEISPIEL: Das Ehepaar Rühmann hat zwei Kinder von 11 und 8 Jahren. Der Mann zieht nach einem Streit aus der ehelichen Wohnung aus und wohnt bei seinen Eltern, in deren Haus genügend Platz ist. Die Kinder bleiben bei der Mutter und werden von ihr versorgt. Nach zwei Jahren wird Scheidungsantrag gestellt. Im Scheidungsverfahren beansprucht der Mann die Ehewohnung . Er möchte auch, dass die Kinder statt bei ihrer Mutter bei ihm leben.
Der Mann hat schon deshalb juristisch schlechte Karten, weil die Lebensverhältnisse sich in bestimmter Weise verfestigt haben. Es müssten schon außergewöhnliche Gründe vorliegen, die jetzt noch einen Wechsel in der Kindesbetreuung rechtfertigen könnten. Auch ein Wohnungswechsel wird der Frau kaum zugemutet werden, schon wegen der Kinder, die nicht aus ihrem sozialen Bezugsfeld gerissen werden sollen.
Weiteres BEISPIEL: Frau Schmolke war vor ihrer Eheschließung mit Herrn Schmolke als Grundschullehrerin tätig, nach der Heirat hat sie die Berufstätigkeit aufgegeben. Nach 20 Ehejahren erfolgt die Trennung.3Frau Schmolke nimmt nun eine Tätigkeit als Verkäuferin in einer Boutique auf. Diese Tatsache kann für ihren Unterhaltsanspruch bei einer späteren Scheidung von Bedeutung sein. Wenn Frau Schmolke in ihrem erlernten Beruf als Lehrerin keinen Arbeitsplatz findet, so wird es um die Frage gehen, ob ihr auch eine Tätigkeit als Verkäuferin zugemutet werden kann. Dabei kommt es unter anderem auf die Ausbildung, die Fähigkeiten und eine früher ausgeübte Tätigkeit an, auch die ehelichen Lebensverhältnisse können eine Rolle spielen (§ 1574 Abs. 2 BGB). Dass Frau Schmolke schon während der Getrenntlebenszeit eine Tätigkeit als Verkäuferin aufgenommen hat, kann nun als Argument dafür dienen, ihr diese Tätigkeit auch nach der Scheidung zuzumuten. Denn auch die Zeit des Getrenntlebens gehört noch zur Ehe und den„ehelichen Lebensverhältnissen“!
2. Wann liegt„Getrenntleben“ vor?
Gerade weil das„Getrenntleben“ weitreichende Rechtsfolgen zeitigt, müssen seine Voraussetzungen klar bestimmt sein. Das Gesetz sagt:„Die Ehegatten leben getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt“ (§ ?1567 Abs. 1 S. 1 BGB). Schon die verwickelte Ausdrucksweise des Gesetzes deutet darauf hin, dass die Sache manchmal nicht einfach ist.