Eigensein entdecken
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Was ist mir wichtig?
»Eigen sein«– das ist schnell gesagt. Fast alle wollen es. Aber was bedeutet es eigentlich? Eigen sein, das ist wie aufwachen. Bei sich sein, wach sein, berührbar sein, erschütterbar sein und trotzdem unbeirrbar bleiben. Es heißt, zwischen eigenen und fremden Gefühlen, zwischen eigenem und fremdem Wollen unterscheiden zu können. Sich selbst zu durchschauen und sich mit sich selbst immer besser auszukennen. Als Weg in diese Richtung schlage ich Ihnen zunächst eine Art Selbstbefragung vor, die Ihnen zumindest in groben ZügenÜbersichtüber sich selbst verschafft.
Fragen Sie sich:Was ist mir wichtig?
Die folgenden Punkte, die ich meinen Klientinnen verdanke, lesen Sie bitte lieber nicht. Sie könnten ja manipuliert werden: |
Meine Familie | Baden im Meer |
Im Bett lesen | Frisches Brot |
Spaziergang im Wald | Mein Café |
Gartenwirtschaften | Kabarett |
Abendessen mit einem Lieblingsmenschen | Weintrinken mit Freunden |
Mittagsschlaf | Sonnenblumen |
Nun fragen Sie sich:Was mag ich nicht? |
Früh aufstehen | Abschminken |
Steuererklärung | Pflichteinladungen |
Dosenfutter | Schlampige E-mails |
Maschinengeräusche | Sahnetorten |
Wohnwagen | Handy-Telefoniererei |
Kleingedrucktes | Billigtarife |
Haben Sie doch weitergelesen? Vielleicht sind Sie ein wenig irritiert. Selbstverständlich haben Sie die Freiheit, diese Punkte zu lesen oder eben nicht. Mit dieser Einleitung wollte ich Reaktanz auslösen, wenn auch nur minimal. Sie wollten diese Ideen lesen, und nun schränke ich Sie von vornherein ein. Was ist wahrscheinlich geschehen? Sie werden noch motivierter gewesen sein, sie zu lesen, weil Sie selbst entscheiden möchten, was Sie machen oder was Sie wollen. Vielleicht gelang es Ihnenüber diesen kleinen Umweg nun, selbst herauszufinden, was Ihre eigenen Ideen sind. Oder Sie werden vielleicht protestieren:»Passt mir nicht!«»Ist bei mir ganz anders!«»Ich lass mich nicht in irgendwelche Punkte stecken!«»Ich will selbst bestimmen!«
Damit sind wir mitten im Thema. Wird einem die Freiheit genommen oder ist sie bedroht, so entsteht der Drang zur Wiederherstellung der Freiheit– das nennt man Reaktanz. Reaktanz haben Sie gerade praktiziert, indem Sie trotz der Bitte, die einzelnen Punkte nicht zu lesen, wahrscheinlich weitergelesen haben. Sie haben sich vielleicht ein wenig geärgert, aber vielleicht gelang es Ihnen so leichter, auf eigene Ideen zu kommen. Denn Sie haben ganz recht. Es ist Ihre Entscheidung, zu machen, was Sie wollen. Egal, was andere sagen, meinen oder raten. Jede Anpassung, an was auch immer, ist pure Zeitverschwendung, vor allem wenn man erst einmalüber sechzig ist.
Das lasse ich mir nicht gefallen!
Sicher kennen Sie solche Situationen, in denen jemand eine Gemeinsamkeit mit Ihnen hinausposaunt, ohne dass Sie vorher um Ihre Zustimmung gefragt wurden oder darum gebeten haben. Vielleicht ist es die Formel»Wir Frauen… wir als Familie… wir Lehrer… wir Nachbarn… wir Krebskranke… wir Jogger… wir Alten«. Sobald man selbst zur angesprochenen Gruppe gehört, stellt sich bei vielen eine Art Irritation ein. Selbst wenn wir dem Gesagten zustimmen, geraten wir in eine gewisse Trotzigkeit, weil wir nicht ungewollt vereinnahmt werden wollen. Wir wollen nicht, dass jemandüber uns verfügt. Wir wollen nicht eingemeindet werden. Und schon gar nicht, dassÄußeresüber unser Inneres gestülpt wird. Wie kommt der andere dazu, eine Gemeinsamkeit mit mir zu verkünden, ohne meine Zustimmung zu haben? Wir wollen gefragt werden und selbst beurteilen und entscheiden.
Nehmen wir das Beispiel Flugsicherheit. Im Prinzip ist wahrscheinlich jeder von uns dafür. Ich kenne jedenfalls niemanden, dem es gleichgültig ist, in die Luft gejagt oder gesprengt zu werden. Dennoch reagiert man gereizt, wenn man die Schuhe, den Gürtel oder die Jacke ausziehen soll. Selbst wenn man frisch deodoriert und normalgewichtig ist und auch sonst nichts zu verbergen hat, ist man genervt. Geradezu reflexartig gerät man in die Haltung:»Das geht zu weit. Das ist zu intim. Das geht euch nichts an.« Mit anderen Wort