Erstes Kapitel
SEARIGHT
Im Oktober 1912 überquerte dieSSCity of Birmingham das Rote Meer, auf halber Strecke ihrer Fahrt nach Indien, als zwei Männer sich gemeinsam auf dem Vordeck wiederfanden. Sie waren jeder für sich dorthin gekommen, um einem Konzert zu entgehen, das einige der anderen Passagiere ausgerichtet hatten, doch da sie sich inzwischen flüchtig kannten, waren sie nicht unglücklich über die Gesellschaft. Es war später Nachmittag. Sie saßen an einem Platz, der nicht nur Sonne und Schatten, sondern auch Schutz vor dem Wind bot. Beide hatten sich Lektüre mitgebracht, die sie höflich beiseitelegten, als sie miteinander ins Gespräch kamen.
Der eine, Morgan Forster, war dreiunddreißig Jahre alt und verstand sich unterdessen als Berufsschriftsteller. Sein jüngst erschienener vierter Roman war so erfolgreich, dass er sich die sechsmonatige Reise finanziell ermöglichen zu können glaubte. Es war sein erster Aufenthalt außerhalb Europas und erst die zweite längere Trennung von seiner Mutter. Der andere war ein Heeresoffizier auf der Rückreise zu seinem Stützpunkt an der indischen North-West Frontier. Er war ein paar Jahre jünger als Morgan, ein gut aussehender Bursche mit zurückgekämmtem blondglänzendem Haar und blendend weißen Zähnen. Sein Name war Kenneth Searight.
Die beiden Männer hatten sich schon einige Male unterhalten, und Morgan fand Searight wider Erwarten recht sympathisch. Auf dem Schiff wimmelte es von Militärs und ihren grässlichen Fregatten, aber dieser Mann war anders. Zum einen reiste er allein. Zum anderen war Morgan aufgefallen, dass er dem einzigen indischen Passagier an Bord mit Anstand und Feingefühl begegnete, beides Eigenschaften, die man in diesen Kreisen oft vergeblich suchte, und das hatte ihn gerührt. Kleine Anzeichen wie diese ließen vermuten, dass ihnen mehr gemein war, als er anfangs angenommen hatte.
Obwohl er erst vor einer Woche an Bord gekommen war, hatte Morgan das Gefühl, dass er sich schon viel zu lange auf dem Schiff befand. Er reiste mit drei Freunden, doch selbst deren Gesellschaft ging ihm allmählich auf die Nerven. In Gedanken zog es ihn immerfort hinaus, auf das Meer, das sie umschloss. Manchmal lief er an Deck stundenlang unermüdlich auf und ab, oder er saß an der Reling und verlor sich in ziellosen Tagträumen beim Anblick der fliegenden Fische, die sich vor dem Bug tummelten, oder der anderen Tiere – Quallen, Haie und Delfine –, die man bisweilen zu Gesicht bekam. In solchen Augenblicken vergaß er sich beinahe selbst. Einmal hatte er scharlachrote Schnüre in der Dünung treiben sehen. Es handele sich um Fischlaich, hatte man ihm gesagt, kurz vor dem Schlupf. Leben, das kein menschliches Leben war, das reifte, erblühte und verging, in einer nicht menschlichen Umgebung.
Er aber konnte den Menschen nicht entkommen. Jeden Tag erwarteten ihn dieselben Gesichter. Das Schiff war wie ein winziges Stück England – Tunbridge Wells, um genau zu sein –, das sich losgerissen hatte und auf die offene See hinausgetrieben war. Aus irgendeinem Grund waren die Frauen am schwersten zu ertragen, vielleicht weil sie so viel redeten. Sie schienen davon überzeugt zu sein, dass er ihre Ansichten teilte, auch wenn dies gewöhnlich nicht der Fall war. Eine von ihnen, eine junge Dame auf der Suche nach einem Ehemann, hatte ein paar schüchterne Annäherungsversuche unternommen, bis seine steinerne Miene sie in die Flucht geschlagen hatte.
Doch nichts erzürnte ihn so sehr wie die beiläufigen Gehässigkeiten, die bei Tisch in Gestalt scherzhafter Bonmots die Runde machten. Er hatte einige von ihnen in seinem Tagebuch notiert und lange darüber gegr