: Irma Hildebrandt
: Frauen, die Geschichte schrieben
: Diederichs Verlag
: 9783641135201
: 1
: CHF 6.20
:
: Romanhafte Biographien
: German
Dreißig Frauen aus vier Jahrhunderten, dreißig lebendige Geschichten, die unter die Haut gehen Malerinnen und Literatinnen, Kämpferinnen für den Frieden und für wissenschaftlichen Fortschritt: Irma Hildebrandt befreit all diese Frauen aus ihrem Schattendasein. Die Rede ist von Gutle Rothschild, der Stammmutter der gleichnamigen Bankdynastie, von Kaiserin Maria Theresia, von der hochbegabten Mathematikerin Mileva Einstein-Maric, die hohen Anteil am Physik-Nobelpreis ihres Ex-Mannes Albert Einstein hatte, von Claire Waldoff, der berühmtesten Chanson-Sängerin aus dem Berlin der zwanziger Jahre und vielen anderen mehr. Die Orte der Handlung sind die großen Metropolen Europas, darunter Wien, Zürich und Berlin.

Irma Hildebrandt, geboren in Hergiswil/Schweiz, studierte Germanistik, Soziologie und Pädagogik in Zürich und Bielefeld und lebte als freie Autorin und Redakteurin in Vlotho an der Weser. Neben Biografien und Essays schrieb sie Kurzprosa, Lyrik und Hörspiele. Bei Diederichs sind von ihr mehrere Bücher mit Frauenporträts erschienen. Irma Hildebrandt verstarb im März 2022 in der Schweiz.

Ist Komponieren Männersache?

Fanny Mendelssohn


1805–1847


 

 

Im Großen Brockhaus (1971) ist dem Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy eine ganze Spalte gewidmet, samt Bild und Werkverzeichnis. Die ebenfalls komponierende Schwester Fanny wird nur in einem Nebensatz als»musikalisch begabt« und Gattin des märkischen Malers Wilhelm Hensel erwähnt. Kein Wort von ihren Kompositionen, einem immerhin beachtlichenŒuvre, kein Wort auch davon, daß Bruder Felix sechs ihrer Lieder seinem eigenen Werk einverleibte. Meyers Konversationslexikon von 1895 war da schon gerechter und registriert Fanny als»begabte Komponistin, deren Arbeiten teils unter ihres Bruders, teils (nach ihrem Tode) unter ihrem eigenen Namen erschienen sind«. Auch auf ihr»Trio für Klavier, Violine und Violoncell« wird hingewiesen. Während die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz die Komponistin mit einer Ausstellung zum 125. Todestag ehrte, ist sie in der umfassenden, seit 1947 erscheinenden Enzyklopädie»Die Musik in Geschichte und Gegenwart« gar nicht vertreten.– Reichte ihre musikalische Begabung doch nicht aus, sie an der Seite ihres Bruders unter die namhaften Komponisten einzureihen? Hätten dann aber die von ihr komponierten, von Felix unter op. 8 und op. 9 vereinnahmten Lieder nicht durch geringere Qualität herausstechen müssen?– Es bleiben Fragen.

Eva Weissweiler, die Fannys aufschlußreiche Briefe und ihr»Italienisches Tagebuch« herausgebracht hat, glaubt, den Grund für Fannys geringen Bekanntheitsgrad – neben der allgemeinüblichen Unterschätzung weiblicher Komponisten – bei der Familie Mendelssohn-Bartholdy auszumachen: Eine professionelle Komponistin im Hause hätte dem als Wunderkind geltenden Felix den Rang ablaufen können, es mußte deshalb alles vermieden werden, was seinen Ruhm beeinträchtigte. Außerdem hatten die Mendelssohns schon einmalÄrger mit einem unbotmäßig emanzipatorischen Frauenzimmer gehabt, mit Dorothea Mendelssohn, die ihren Mann verließ, um Friedrich Schlegel zu heiraten, und mit ihm auch noch zum katholischen Glaubenübertrat.

Felix Mendelssohn selbst hat das Komponieren seiner Schwester in keiner Weise gefördert, ja, alles darangesetzt, ihr den Weg in dieÖffentlichkeit zu verbauen. Das beeinträchtigte aber das herzliche, geradezu innige Verhältnis der Geschwister nicht, in das auch die jüngere Schwester Rebecka und der Bruder Paul einbezogen wurden. Von klein auf erlebten sie diese enge, nach außen abgeschirmte Familiengemeinschaft, die begünstigt wurde durch den Entschluß der Eltern, die Geschwister statt in einer allgemeinen Schule zu Hause durch ausgesuchte Privatlehrer unterrichten zu lassen. So erhielten Fanny und der vier Jahre jüngere Felix nicht nur eine sorgfältige musikalische Früherziehung, sondern auch eine fundierte Unterweisung in Mathematik und Sprachen, in Zeichnen und Tanz, wie dies in jüdischliberalen Häusernüblich war.

Daß der Vater Abraham Mendelssohn, der sein Hamburger Bankhaus unter der Napoleonischen Besatzung hatte aufgeben müssen und mit seiner Familie nach Berlinübergesiedelt war, seine vier Kinder 1816 in der Neuen Kirche evangelisch taufen ließ, geschah wohl mehr, um ihnen eine erfolgreiche Zukunft nicht zu verbauen. Hieß es doch in einem Votum des preußischen Finanzministeriums aus demselben Jahr:»DerÜbertritt der Juden zur christlichen Religion muß erleichtert werden, und mit dem sind alle staatsbürgerlichen Rechte verknüpft. Solange der Jude aber Jude bleibt, kann er keine Stellung im Staate einnehmen.« – Sechs Jahre später trat auch der Vater zum Christentumüber und nahm den Familiennamen Bartholdy an – ein Schritt, den die Kinder später als opportunistisch auslegten und der ausgeprägt jüdischen Familientradition nicht würdig fanden. Mutter Lea war eine Enkelin Daniel Itzigs, des Bankiers Friedrichs des Großen, und gleichzeitig Oberlandesältesten der preußischen Juden. Nicht weniger imponierend der Großvater väterlicherseits, der Philosoph und Kaufmann Moses Mendelssohn, ein Freund Lessings und der Toleranz, dessen Haus Treffpunkt der Berliner Künstler und Intellektuellen war.

Mit diesen Vorbildern vor Augen wuchsen die Kinder auf. Fanny und Felix erhielten gemeinsam Klavierunterricht bei Ludwig Berger, einem strengen Lehrmeister, der ihnen so viel abforderte, daß für Spiel und Zerstreuung keine Zeit blieb. Alle vier Geschwister sangen außerdem in der Chorschule der Berliner Singakademie mit, hier wurde Fannys Liebe zur Musik Bachs und Händels geweckt. Komposition lernten Fanny und Felix bei Carl Friedrich Zelter, dem Brieffreund Goethes, der allerdings nur ein mäßiger Pädagoge war. So beklagte denn Fanny später immer wieder ihre mangelhafte kompositorische Ausbildung. Während die Eltern in Bruder Felix alle Hoffnungen setzten und er sich bei besten Lehrern auch im Ausland weiterbilden konnte, nützten ihr die»Bachschen Fugenfinger«, die der Mutter früh auffielen, wenig. Daß sie die meisten Beethoven-Sonaten und Bachschen Klavierwerke auswendig spielte und im Alter von zwölf Jahren das ganze»Wohltemperierte Klavier« beherrschte, zählte nicht. Sie war ein Mädchen und sollte sich nach dem Willen des Vaters zu ihrem»eigentlichen Beruf, zum einzigen Beruf eines Weibes, zur Hausfrau bilden«. Nicht daß Vater Abraham ihr das Klavierspiel und auch das Komponieren verboten hätte, aber es durfte stets»nur eine Zierde, niemals Grundbaß« ihres Tuns sein.

Für Fanny aber, die