Erstes Kapitel
Alle Lichter waren erloschen, nur durch die Fensterscheiben schimmerte in einer grünlichen Kristallkugel ein kaum sichtbares, scheues Flämmchen, wie ein Glühwürmchen in dunkler Nacht.– Ganz plötzlich trat Stille ein, eine Stille voll quälender Erwartung.
Sie saßen da, lauernd, in sich versunken, wie tot, voll peinigender Unruhe und voll eines kaum zu zähmenden Erzitterns der Angst.
Die Zeit floß langsam dahin, in erschreckendem Schweigen, in der lähmenden, entsetzlichen Stille banger Vorahnungen; nur hin und wieder hörte man in der Dunkelheit mühsam unterdrückte Seufzer, oder die Diele knarrte, daß sie heftig zusammenschraken; dann wieder summte etwas Undefinierbares um ihre Köpfe, wie der Flug eines Vogels, schwirrte im Zimmer umher und kühlte mit eisigkaltem Hauch ihre erhitzten Gesichter, um schließlich im nebligen Dunkel, leise weinend gleichsam, zu ersterben… Und wieder verflossen lange Augenblicke, eine Ewigkeit, Augenblicke quälenden Schweigens und der Erwartung.
Plötzlich erbebte der Tisch, geriet in gewaltsam schaukelnde Bewegungen, erhob sich in die Luft und sank dann ohne jedes Geräusch wieder auf den Boden. Ein eisiger Schauer erschütterte die Herzen… Einer schrie auf… ein andrer schluchzte nervös… wieder ein andrer sprang empor, als wolle er fliehen. Der heiße Hauch der Angst war im Dunkel verweht und vergrub sich mit einem schmerzhaft marternden Beben in die Seelen; doch bald war alles erloschen, unterdrückt durch das schreckliche Verlangen nach Wundern. Ein Wunder erflehten ihre Angstgefühle und ihre Seelen, die, wie auf die Folterbank gespannt, in schmerzlicher Sehnsucht bebten.
Das Schweigen wurde noch tiefer, man hielt den Atem an, dämpfte dasängstliche Schlagen der Herzen, spannte alle Willenskraft, um nicht zu erzittern, nicht zu flüstern, noch sich zu bewegen, um nicht einmal aufzuschauen und in einer Stille zu erstarren, so tief, daß das leise Ticken einer Uhr an den Herzen bohrte, mit unaufhörlichem Ticktack, und in den Schläfen hämmerte mit schweren Hämmern.
Ein dumpfes, klagendes, verwehendes und fernes Schäumen, wie das Schäumen der Meeresflut, brauste eintönig hinter den Fenstern, der Regen schlug unaufhörlich an die feuchtgrauen Scheiben, ließ sie leise erklingen, floß an ihnen in langen Perlenketten herab und flüsterte wie im Traume, flüsterte bang; der Wind zerrte an den Laden und sank mit unterdrücktem klagendem Schrei wie tot an den Mauern herab. Und Bäume, die aussahen wie Wolkenfetzen, blinde, stumme Bäume neigten sich still zu den Fenstern, bebten als kaum faßbare Schatten,– wie ein Traum, dessen man sich nicht mehr erinnern kann, und verschwanden im Nebel wie ein Traum.
Und das Zimmer war immer noch dumpf, stumm und abgrundtief, nur das grünliche Flämmchen zitterte unaufhörlich, gleich einem Stern, der sich in einem schwarzen, tiefen See widerspiegelt; oder irgendein Blick flammte plötzlich auf und erstarb gleich wieder im trüben Dunkel, das voll war von unfaßbarem Beben, unfertigen Bewegungen, beunruhigendem Zittern, ersterbendem Flüstern, verglimmendem Schillern und einer kauernden, fröstelnden Angst.
Der Tisch riß sich wieder unter den Händen los, stieß die Sitzenden auseinander, erhob sich gewaltsam und fiel mit lautem Gepolter auf seinen Platz zurück… Die Kette der Hände wurde unterbrochen, Schreie wurden laut, jemand sprang seitwärts, zum Licht.
»Still!… Auf die Plätze!… Still!« ertönte eine befehlende Stimme.
Die Hände verflochten sich wieder zu einer unzerreißbaren Kette, alle verstummten plötzlich, doch niemand mehr vermochte das nervöse Zittern zu unterdrücken, die Hände bebten, die Herzen pochten, und die Seelen durchwehte ein Sturm heiliger Angst; man neigte sichüber den Tisch, wieüber ein unerklärliches, geheimnisvolles Wesen, dessen kleinste Bewegung ein sichtbares, lebendiges Wunder wäre.
Yoe, der den Vorsitz führte, begann ein Gebet zu flüstern, und nach seinem Beispiel begannen sie mit bebenden Lippen die Worte nachzusprechen, immer schneller, immer stärker, daß das Dunkel erfüllt wurde von leidenschaftlichem, gleichsam aus dem Herzen, aus der Tiefe verblendeter Seelen gerissenem Geflüster… Glühend waren ihre Worte in ihrem Verlangen, ihrer Sehnsucht nach dem Wunder.
Plötzlich ertönten aus dem anderen Zimmer oder aus irgendeiner Tiefe hervor die gedämpften Klänge eines Harmoniums. Das Jammern erstarb in den gepreßten Kehlen, die Seelen verfielen in traumhafte Schauer, wie vor dem Tode; denn niemand hatte diese Musik erwartet, niemand wußte, woher diese Töne kämen, niemand war sich klar darüber, ob das wirkliche, lebendige Töne wären, oder nur eine süße Täuschung.
Sie sanken mit der Brust auf den Tisch, denn niemand mehr hatte Kraft, sie hielten sich krampfhaft an den Händen, hatten Angst davor, einander loszulassen, hatten Angst, in die Einsamkeit zu versinken… sie drängten sich mit den Schultern fester aneinander und vertieften sich zusammengedrängt, zitternd in diese wundersamen Töne, die wie ein liebkosender Windüber die Saiten einer unsichtbaren Harfe dahinglitten.
Und so sehr vergaßen sie alles, daß niemand wußte, ob dies nun Wirklichkeit oder nur ein zauberschöner Traum wäre.
Und die Musik füllte das Dunkel mit dem Opferbeben eines inbrünstigen Gebetes, mit dem Tau silberheller Töne, dem Hauch einer so süßen Melodie, daß die Seelen in seligkeittrunkne Träume versanken, gleich den Blumen in einer Mondnacht.
Und die Musik ließ ein feierliches, gewaltiges, weithinschallendes Lied ertönen, als sänge die ganze Welt.
Und mit dem Schrei der Seele, die im Weltall irrt, schluchzte sie traurig.
Und sie erhob sich höher,– bis zu den Hymnen seliger Verzückung und in die Fernen einer Sehnsucht, als w&au