3GLÜCK
Willst du ein Eis? Saskia?« Ich starre auf das kreischende Baby neben mir und dann auf Oskar, der mich fragend ansieht. »Willst du eins? Wir können eins mitnehmen.« Die Mutter trabt mit ihrem Kind weg, ein wenig geistesabwesend schüttle ich den Kopf und sehe zu Oskar. »Nein, danke.« Er nickt und geht weiter, ich ihm hinterher.
Es ist Sonntag, der6. Juli2008. Der Tag, an dem mein Vater stirbt.
Oskar ist mein damaliger Freund, und wir wollen schwimmen, im Donaubad in Kritzendorf in der Nähe von Wien. Wir fahren fast immer in dieses Bad. Es wurde Anfang des19. Jahrhunderts gebaut. Seine Hochblüte hatte es in der Zwischenkriegszeit, und noch immer stehen überall die bunt lackierten Holzhäuser der dreißiger Jahre und sorgen schon beim Eingang für eine eigene Stimmung.
Früher war das Bad dafür bekannt, dass Menschen aus allen sozialen Schichten hierherkamen, Künstler und Geschäftsleute hatten ihre Häuschen neben den Kabinen gewöhnlicher Arbeiter. Manche nennen Kritzendorf immer noch die »Riviera an der Donau«.
Die Sonne scheint, der Wind weht nur ein wenig, es riecht nach Sonnenöl und frisch gemähter Wiese. An der Donau liegen ein paar Jungfamilien auf Decken und Senioren auf Liegestühlen, und ihr Hautton lässt erahnen, dass sie ihre Plätze nur sehr selten verlassen. Oskar und ich schlagen uns an der Donau entlang durch die Büsche, wir suchen eine der kleinen Buchten, in denen nie jemand liegt. Das Schöne an diesem Bad ist auch, dass es so weitläufig ist. Die Menschen verteilen sich, man muss nicht eng nebeneinander sitzen.
Oskar hat einen blauen Rucksack über der Schulter hängen, er geht den schmalen Weg vor mir entlang. Wir sind zusammen seit ich vierundzwanzig bin, also seit etwa drei Jahren. Er ist mein zweiter Freund nach Martin, den ich in der Schule kennengelernt habe und zu dem die Beziehung neun Jahre hält und der heute noch ein Freund von mir ist. Ich bin sehr glücklich mit Oskar, vor allem in dieser schwierigen Woche. Am nächsten Tag wäre mein Bruder dreißig Jahre alt geworden. Er ist seit vier Jahren tot. Die ganze Woche vor seinem Todestag ist meine Familie immer sehr angespannt. Ein Jahr nach Tills Tod lerne ich Oskar kennen, und diese neue Liebe hilft mir, den Schrecken besser zu verarbeiten.
An diesem sonnigen und ruhigen Sonntag kommt mir das alles ohnehin nur noch wie ein entfernter Schock vor. Im Übermut remple ich Oskar spielerisch an, wir verlieren das Gleichgewicht und fallen mit unseren Sachen ins Wasser. Ich muss lachen, dann merke ich, dass er das gar nicht so lustig findet. Um es wieder hinzubiegen, laufe ich zurück und hole am Stand beim Eingang einen doppelten Espresso und bringe ihm den. Er grinst.
Damals, als wir einander kennenlernen, fällt mir als erstes sein Lausbubengesicht mit dem verschmitzten Lächeln auf. Ich mag, dass er Locken hat, in der griechischen Antike wäre er vermutlich ein beliebter Lustknabe gewesen. Wir treffen einander bei meinem ersten Job als Journalistin. Er arbeitet auch in der Redaktion, und gleich an meinem ersten Tag gehen wir nach der Produktion alle etwas trinken, und als wäre es Zufall sitzen wir nebeneinander. Der Rest des Abends gehört uns, und dann treffen wir einander noch ein paar Mal, bevor wir uns eingestehen, dass wir verliebt sind. Etwa ein halbes Jahr sehen wir einander vor allem abends, wir haben eine Stammkneipe, in der wir viele Nächte