: Ulrich Renz
: Schönheit: Eine Wissenschaft für sich
: Sefa Verlag
: 9783945090008
: 1
: CHF 8.80
:
: Psychologie: Allgemeines, Nachschlagewerke
: German
: 340
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das Standardwerk zur Attraktivitätsforschung & 13; Schon ein hübsches Baby erfährt mehr Zuwendung als ein weniger hübsches. Die schöne Kellnerin bekommt mehr Trinkgeld als ihre weniger ansehnliche Kollegin, der attraktivere Bewerber ein höheres Gehaltsangebot, der besser aussehende Politiker mehr Stimmen. Schönheit ist ein Skandal. Warum hat Schönheit so viel Macht über uns? Warum beschäftigt sich unsere Kultur so besessen mit dem Aussehen? Doch was heißt hier eigentlich 'schön'? Was zieht uns an einem schönen Gesicht so magisch an? Und überhaupt: Ist Schönheit nicht relativ? Ulrich Renz nimmt seine Leser mit auf eine Entdeckungsreise in eines der spannendsten Felder, das die Wissenschaft zu bieten hat: die Attraktivitätsforschung. Schönheit. Eine Wissenschaft für sich ist nicht nur ein packender Wissenschaftsreport, sondern auch die Geschichte einer schwierigen Liebe, die uns Menschen seit jeher bezaubert und irritiert.

Ulrich Renz, Jahrgang 1960. Studium diverser Sprachen in Paris. Medizinstudium in Lübeck, Tätigkeit als Arzt, Fachbuch-Autor und Leiter eines medizinischen Fachverlages. Seit 1998 freier Publizist, neben Sachbüchern und Wissenschafts-Reportagen schreibt Renz Kinder- und Jugendbücher. Mehr unter: ulrichrenz.de.

Eine Warnung vorweg


 

Flughafen Detroit, eine Wartehalle wieüberall auf der Welt: viel Gewusel und Lärm, Krawattenmenschen, ein paar Urlauber. Leute, die nichts wie weg wollen. Lange Reihen von Plastiksitzen, unterbrochen von Tischchen mit braunen Glasplatten, darauf volle Aschenbecher. Ja, Aschenbecher: Wir befinden uns mitten in den siebziger Jahren.

Ein Herr mit Hut steht von seinem Sitz auf und geht zu einer der Telefonzellen im Hintergrund. Als er die Türöffnet, fällt sein Blick sofort auf den Klarsichthefter auf der Ablage. Er nimmt ihn zur Hand und blättert darin. Offenbar handelt es sich um die Bewerbung einer Highschool-Absolventin um einen Studienplatz im Fach Psychologie. Obendrauf auf die Mappe ist eine handschriftliche Notiz geheftet:»Lieber Papa, ich wünsch dir eine gute Reise! Bitte denk daran, die Bewerbung noch vor deinem Flug abzuschicken. Deine Linda.« Nachdem er seinen Telefonanruf erledigt hat, schaut der Herr noch einmal kurz auf das Passbild auf dem Lebenslauf und nimmt die Unterlagen– unter denen sich wie durch ein Wunder auch ein frankierter Briefumschlag befindet– an sich. Er hat noch genug Zeit, um sie im Postamt des Flughafens aufzugeben.

Was der Mann mit dem Hut nicht weiß: Er nimmt gerade an einem psychologischen Experiment teil. Und genauso wenig weiß er, dass an diesem Tag noch 502 andere Passanten irgendwo auf dem Detroiter Flughafen in herrenlosen Bewerbungsmappen blättern, die alle absolut identisch sind: gleicher Name, gleiche Adresse, gleiche Zeugnisse– nur das Foto ist jedes Mal ein anderes. Manche Mappen werden zurückgeschickt, andere nicht. Hinter der angegebenen Adresse steckt kein anderer als der Mann, der den ganzen Betrug organisiert hat: Richard Lerner, ein Sozialpsychologe von der Eastern Michigan University. Zusammen mit seinen Kollegen will er die Frage klären: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Attraktivität der Bewerberin und der Rücklaufquote? Die Antwort steht ein paar Monate später imJournal of Experimental Social Psychology: je schöner das Gesicht auf dem Foto, desto hilfsbereiter sind die Geister.

 

Willkommen im Reich der Attraktivitätsforschung. Die Gruppe um Richard Lerner gehört zu einem kleinen Kreis von Pionieren, die unser Aussehen als wissenschaftliches Thema entdeckt haben. Heute hat Schönheit– unter ihrem akademischen Pseudonym»physical attractiveness«– Konjunktur in der Forschung. Jedes Jahr erscheinen Hunderte von wissenschaftlichen Publikationen in allen nur erdenklichen Disziplinen.

Auf den kommenden Seiten werden Sie die wichtigsten Ergebnisse der Attraktivitätsforschung kennen lernen. Ich werde Sie durch ein Forschungsgebiet führen, dessen Erkenntnisse ein vollkommen neues Bild eines uralten Rätsels zeichnen. Wir werden bei unserer Erkundung durch viele Provinzen kommen, die unterschiedlichsten Gedankengebäude besichtigen, in Zement gegossene Theorien, waghalsige Hypothesen und luftige Spekulationen.

Ab und zu werden wir uns für eine Verschnaufpause hinsetzen und darüber nachdenken, was Schönheit mit uns selber und unserer Gesellschaft zu tun hat. Warum ist Schönheit so wichtig? Was ist vom Schönheitskult unserer Tage zu halten? Waren andere Epochen weniger schönheitsfixiert?

 

Aber Achtung. Schönheit ist kein Stoff wie jeder andere. Sie kommt mit einem langen Beipackzettel.

Als vor fünf Jahren die Idee zu diesem Buch so weit gediehen war, dass ich sie probehalber in einem privaten Literaturkreis vorstellen konnte, erlebte ich hautnah mit, was für eine Sprengkraft in dem Thema liegt. Die Reaktionen reichten von Begeisterungsstürmen bis zu zugeschlagenen Türen. Zurück blieb eine erste Ahnung davon, dass es gute Gründe gibt, kein Buchüber Schönheit zu schreiben.

Schönheit ist vermintes Gelände. Schon die Tatsache, dass die einen sie haben und die anderen nicht, macht die Sache brisant.

Dass ihr Besitz gänzlich unverdient ist, macht alles noch schlimmer. Mit welchem Recht bekommt eigentlich ein hübsches Kind in der Schule mehr freundliche Worte, Zuwendung und bessere Noten? Ein gut aussehender Einbrecher vor Gericht eine mildere Strafe als einer mit weniger angenehmemÄußeren? Eine schönere Patientin mehr Aufmerksamkeit von ihrem Arzt?

Schönheit ist ein Affront gegen einen unserer heiligsten Werte: dass alle Menschen mit den gleichen Chancen ins Leben starten.

Ein Affront auch gegen unseren Verstand. Im Bannkreis der Schönheit werfen wir Vernunft, Kritikfähigkeit und Menschenkenntnis mit einem Jubelschreiüber Bord. Schönheit täuscht, und wir lassen uns täuschen. Nicht auf Herzensgüte, Charakterstärke, Treue oder Originalität bauen wir unser Urteilüber unsere Mitmenschen, sondern allzu oft auf die bloße Verpackung drum herum, die alleräußerlichste allerÄußerlichkeiten, von der wir nicht einmal benennen können, was ihren Reiz eigentlich ausmacht, und die uns trotzdem mit der Macht einer Naturgewalt anzieht.

 

Schönheit ist ein Skandal. Kein Wunder, dass wir uns um Distanz bemühen.»Schönheit liegt im Auge des Betrachters«, sagen wir gerne und meinen es durchaus ernst. Hat nicht jeder Mensch seine eigenen Vorstellungen von Schönheit? Und ist nicht jeder Mensch auf seine Weise schön? Ist Schönheit nicht reine