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Wer bläst mir da in den Nacken?
Ich fuhr herum. Die Glastür mit den abgetönten Scheiben schloss sich mit einem Zischen. Das leere Foyer war hell erleuchtet. Künstliche Farne wiegten sanft ihre Blätter. Nichts rührte sich auf dem hitzeflirrenden Parkplatz. Weiter hinten eine Palmenreihe vor dem weiten Himmel.
«Ja, bitte?»
Ich fuhr wieder herum. Die wartende Rezeptionistin reichte mir ihren Stift mit einem Lächeln, so knitterfrei wie ihre Uniform. Ich sah die Poren unter ihrer Schminke und hörte die Stille unter der Musikberieselung und darunter das Drängen.
«Kobayashi. Ich hatte vom Flughafen aus angerufen und ein Zimmer reserviert.» Nadelstiche in den Handflächen. Kleine Dornen.
«Ach richtig, Herr Kobayashi …» Was spielte es für eine Rolle, ob sie mir glaubte? Die Unreinen steigen andauernd unter falschem Namen in Hotels ab. Um mit Fremden zu kopulieren. «Darf ich Sie bitten, Ihren Namen und Ihre Adresse einzutragen … und den Beruf?»
Ich zeigte ihr meine bandagierte Hand. «Leider müssen Sie wohl das Formular für mich ausfüllen.»
«Natürlich … Ach je, wie ist denn das passiert?»
«Ich habe sie mir in einer Tür geklemmt.»
Sie verzog teilnahmsvoll das Gesicht und drehte das Formular zu sich. «Welchen Beruf üben Sie aus, Herr Kobayashi?»
«Ich bin Softwareentwickler. Ich arbeite frei für verschiedene Unternehmen.»
Sie runzelte die Stirn. Ich passte nicht in ihr Formular. «Ach so, also keine Firma. Dann …»
«Tragen wir doch das Unternehmen ein, für das ich momentan tätig bin.»
Kein Problem. Die technische Abteilung der Gemeinschaft wird die nötigen Beweise liefern.
«Schön, Herr Kobayashi … Herzlich willkommen im Okinawa Garden Hotel.»
«Vielen Dank.»
«Sind Sie geschäftlich in Okinawa oder als Tourist, Herr Kobayashi?»
Lag ein Zweifel in ihrem Lächeln? Argwohn in ihrem Blick?
«Teils geschäftlich, teils als Tourist.» Ich setzte meine Alphakontrollstimme ein.
«Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt. Hier sind Ihre Schlüssel. Zimmer 307. Wenn wir Ihnen irgendwie behilflich sein können, wir stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung.»
Du? Mir helfen? «Ich danke Ihnen.»
Unrein. Unrein. Die Bewohner Okinawas sind nie reinblütige Japaner gewesen. Sie haben andere, schwächere Vorfahren. Als ich mich umdrehte und zum Fahrstuhl ging, verriet mir meine außersinnliche Wahrnehmung, dass sie in sich hineingrinste. Das Grinsen wäre ihr vergangen, wenn sie gewusst hätte, mit welch großem Geist sie es zu tun hatte. Ihre Zeit wird kommen, genau wie die der anderen.
Keine Menschenseele regte sich in dem riesigen Hotel. Die stummen Korridore erstreckten sich in die mittägliche Ferne wie leere Katakomben.
Es war stickig in meinem Zimmer. Im Heiligtum sind Klimaanlagen verboten, weil sie die Alphawellen beeinträchtigen. Aus Solidarität mit meinen Brüdern und Schwestern stellte ich die Lüftung nicht an und öffnete die Fenster. Die Vorhänge ließ ich zugezogen. Man weiß nie, wer sein Teleobjektiv auf einen richtet.
Ich spähte durch einen Spalt hinaus und sah mitten in die pralle Sonne. Naha ist eine hässliche, vulgäre Stadt. Ohne den aquamarinblauen Pazifikstreifen im Hintergrund könnte sie ein x-beliebiges Tentakel Tokios sein. Der übliche rotweiße Fernsehsender überträgt die Befehle der Regierung ins Unterbewusstsein. Die üblichen Warenhäuser ragen auf wie fensterlose Tempel und machen die Unreinen mit glänzendem Schein gefügig. Dieselben Wohnbezirke, dieselben Fabriken, die ihre Gifte in die Luft und ins Trinkwasser pumpen. Kühlschränke liegen zwischen unnützem Ramsch auf den Müllkippen. Was sind ihre Städte doch für aufgepfropfte Schandflecke! Ich sehe vor mir, wie die Neue Welt diesen gärenden Saustall wie ein mächtiger Besen auskehrt und das Land zu seiner jungfräulichen Unschuld zurückführt. Danach wird die Gemeinschaft eine Welt erschaffen, die wir Überlebenden verdienen und für immer in Ehren halten werden.
Ich reinigte mich und musterte mein Gesicht im Badezimmerspiegel. Du bist einer dieser Überlebenden, Quasar. Scharfe Gesichtszüge heben mein Samurai-Erbe hervor. Wulstige Augenbrauen. Adlernase. Quasar, der Bote. Seine Luzidität gab mir meinen Namen mit prophetischer Weitsicht. Es war meine Aufgabe, allein am Rand des Universums der Gläubigen zu stehen und in der Finsternis zu pulsieren. Ich bin ein Vorreiter. Ein Herold.
Der Sauglüfter im Bad brummte monoton. Irgendwo dahinter hörte ich ein kleines Mädchen weinen. So viel Trauer in dieser verkehrten Welt. Ich fing an, mich zu rasieren. Ich wurde früh wach und wusste zunächst nicht, wo ich mich befand. Mein Traum war in einzelne Puzzleteile zerfallen. Herr Ikeda, mein Klassenlehrer in der Oberstufe, war darin vorgekommen und zwei oder drei der schlimmsten Rabauken. Auch mein biologischer Vater war aufgetaucht. Ich dachte an den Tag zurück, an dem die Rabauken die ganze Klasse überredet hatten, so zu tun, als sei ich tot. Bis zum Nachmittag hatte es sich in der ganzen Schule herumgesprochen. Alle taten, als könnten sie mich nicht sehen. Wenn ich etwas sagte, taten sie, als könnten sie mich nicht hören. Schließlich drang die Angelegenheit zu Herrn Ikeda durch. Und wozu sah sich der von der Gesellschaft ernannte Vormund junger Seelen veranlasst? Der Dreckskerl hielt in der letzten Schulstunde einen Trauergottesdienst für mich ab. Er entzündete sogar Räucherstäbchen und führte den Gesang an.
Bevor Seine Luzidität mein Leben erleuchtete, war ich schutzlos. Ich weinte und schrie, damit sie aufhörten, doch sie übersahen mich. Ich war tot.
Beim Aufwachen merkte ich, dass ich von einer Erektion gepeinigt wurde. Zu viele störende Gammawellen. Ich meditierte unter dem Bild Seiner Luzidität, bis sie abgeklungen war.
Wenn die Unreinen so wild auf Beerdigungen sind, sollen sie sie haben, und zwar im Überfluss, in den Weißen Nächten, bevor Seine Luzidität sich erhebt und Sein Königreich einfordert. Beerdigungen ohne Trauergäste.
Ich ging die Kokusai Dori hinunter, die Hauptstraße der Stadt. Unterwegs machte ich wiederholt kehrt oder lief im Zickzack, um eventuelle Verfolger abzuschütteln. Leider ist mein Alphapotenzial noch zu schwach, um mich unsichtbar zu machen, und so muss ich meine Verfolger auf herkömmliche Weise loswerden. Sowie ich sicher war, dass mir niemand folgte, verschwand ich in einer Spielhalle und telefonierte von dort. Öffentliche Telefone sind äußerst selten verwanzt.
«Bruder, hier spricht Quasar. Bitte verbinde mich mit dem Verteidigungsminister.»
«Natürlich, Bruder. Der Minister erwartet deinen Anruf. Wenn du erlaubst, möchte ich dir zum Erfolg unserer letzten Mission gratulieren.»
Eine Weile wurde ich in die Warteschleife gelegt. Der Verteidigungsminister ist ein Günstling Seiner Luzidität. Er hat auf der Kaiserlichen Universität studiert. Bevor er den Ruf des Meisters hörte, war er Richter. Er ist eine geborene Führungspersönlichkeit. «Ah, Quasar. Ausgezeichnet. Bist du bei guter Gesundheit?»
«Zu Diensten Seiner Luzidität, Minister. Ich erfreue mich immer guter Gesundheit. Ich habe meine Allergien besiegt und leide seit neun Monaten nicht mehr unter …»
«Wir freuen uns für dich. Seine Luzidität ist von der Kraft deines Glaubens beeindruckt.Überaus beeindruckt. Er befindet sich an Seinem Ruheort und meditiert über deine Seele. Nur über deine Seele, damit sie gefestigt und bereichert werde.»
«Minister! Bitte übermittele Ihm meinen tiefsten Dank.»
«Mit Freuden. Du hast es verdient. Wir befinden uns im Krieg gegen die unreinen Massen. In diesem Krieg bleiben mutige Taten weder unbemerkt noch unbelohnt. Aber du wirst dich sicher fragen, wie lange die Trennung von deiner Familie noch dauern wird. Das Kabinett hält sieben Tage für ausreichend.»
«Ich verstehe, Minister.» Ich verbeugte mich tief.
«Hast du die Berichte im Fernsehen gesehen?»
«Ich meide die Lügen der Unreinen, Minister.Denn welcheSchlange würde willentlich der Stimme des Schlangenbeschwörers Gehör schenken? Auch...