Raphael und seine Nachbarinnen
(Briefe an den C. R.)
Eure Verwunderung, gnädigster Herr, als ich Raphaels von Mark Anton gestochene, von mir gedruckte Blätter Euch vorlegte: wie der Ernst und das innige, himmlische Wesen dieser Arbeiten sich mit dem Leichtsinne seiner Lebensweise vereinen lasse, gab mir Gelegenheit, viele der lügenhaften Nachrichtenüber Raphael zu widerlegen, die den Entfernten das reine Licht seines liebevollen Geistes in trüben, höllischen Nebeldunst verhüllen. Ich war ihm nahe bis zu seinem Ende, nahe wie kein andrer in seinem täglichen Lebensverkehr; er war die unschuldigste Seele in dieser verderbten Welt. Ihr nähmet mich beim Wort, Eure Ansicht durch getreue Erzählung alles dessen zu berichtigen, was mir aus meinem vieljährigen Umgange mit ihm und seinen Hausgenossen erinnerlich geblieben. Diesen Bericht, welchen ich nicht ohne schmerzliche Rührung zusammengeschrieben, lege ich Euch jetzt mit dem Wunsche zu Füßen, daß er Euer menschliches Herz dem Manne befreunden möge, welchen Eure Sittenstrenge verdammte.
Die Kunst der Malerei nimmt den ganzen Menschen in Anspruch und bildet ihn doch immer nur von einer Seite aus. Der Künstler muß sich beschränken, um nicht zerstreut zu werden in seiner Arbeit; und doch fühlt er leicht nach derselben ein Verlangen nach etwas, das er nicht zu finden weiß und wofür sich ihm der sinnliche Genuß oft naheliegend darbietet. Der Künstler bedarf einer reichen Anschauung des Sinnlichen, um dasübersinnliche darin zu unterscheiden, es aufzufassen und darzustellen; aber diese sinnliche Lust wird seine gefährlichste Feindin, wenn er ihr die ganze Seele unterwirft. Er hat nur zwei Wege, zur Ruhe zu gelangen, die seine Arbeit fördert; entweder gänzliche Hingebung in höhere Obhut durch Entsagung und Selbstbekämpfung, welchen Weg dieältesten Maler einschlugen, die meist Klostergeistliche wurden, oder ein flüchtiges Benutzen jeder Gewährung, welche die Welt darbietet, was wenigstens von Zeit zu Zeit Ruhe schenket, obgleich es in immer größere Unruhe zurückstürzt. Diesen letzten Weg führte unsern Raphael die Sinnesart seiner Zeitgenossen; wäre er bei den Seinen geblieben, hätte er gewiß den ersten gewählt. Nie zeigte er sich auf dem Wege seiner Schüler und Nachahmer, die in sinnlicher Lust den Himmel zu stürmen trachten und mit dem Nichtigen die Leere zu füllen wähnen, jene Kluft, die nichts auf Erden zu füllen vermag, weder Kunst noch Wissenschaft mit aller ihrer Prahlerei. Raphael schloß sich der Erde an, ohne ihr anzugehören, sein Kuß war wie ein Abschied eines Engels von der Erde, der sich von ihr im Morgentau entfernt und sich aufwärts zu den ewigen Gestirnen erhebt. Es quält mich innerlich, daß ich Euch nur so wenig aus der Fülle von Erinnerungen aufzuschreiben verstand, die alle Wände meiner Seele, wie die Namen der Pilger jenes Haus in Loretto, bedecken. Aber diese Wände, diese geheiligten Gedächtnistafeln sind mit Raphaels Tod wie durch ein Erdbeben zerrissen; auch ist mein irdisches Haus zu sehr mit lärmenden Druckerpressen angefüllt, als daß ich viel von jener himmlischen Nachbarschaft mit ihm im Zusammenhange denken und schreiben könnte. Mußte doch selbst Raphael seine himmlische Nachbarinüber die irdische Hausgenossin vergessen, wie Ihr dies ausführlich in meinem Berichte finden werdet.
Zugleich erfüllt dieser Bericht Euren Befehl, Euch die Entstehung und Bedeutung einiger Werke Raphaels zu erklären, wobei ich als Kupferstichhändler bitten muß, Eure Bestellungen recht bald an mich ergehen zu lassen, weil die ersten Abdrücke dieser Bilder immer seltener werden und, von den Sammlern immer fester gehalten, nicht oft in den Handel zurückkehren. Denn jeder möchte etwas von Raphael bewahren; aber das Beste von ihm bewahre ich in meinem Herzen, und das ist mir um keinen Preis feil.
1. Zu Raphaels Psyche
Ihr rühmtet mir den Mark Anton, als ich Euch diese Blätter vorlegte. Nein, meinen Raphael müßt Ihr preisen wegen dieser kaum geöffneten Knospen, aus denen Gedanken der Engel, wie Blätter eines neuen Frühlings, zu Tage kommen. So liegt nun die Geschichte der Psyche und des Amor vor Euch wie ein Rätsel, das jeder einmal in seinem Leben lösen soll.– Er zeichnete das meiste selbst auf die Platten, darum ist kein Strich bloße Zierat, sondern jeder gehört zum Ganzen. Mark Antons feste Hand fuhr treulich mit dem Grabstichel nach; mein starker Arm drückte alles mit einer neuen, verbesserten Pr