Das Haus am Rande des Berges
Das Gewitter kam so plötzlich, dass es gespenstisch war. Bedrohlich rollten dicke Wolkenüber den Gipfel des Traunsteins hinweg, gefolgt von Blitz und Donner. Es dauerte nicht lange und die ersten schweren Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheiben des Dachzimmers.
Dam, dam, dam, machten sie. Dann immer schneller: damdam damdamdamdam.
Laurenz lag zusammengerollt auf dem Bett und zog sich die Deckeüber den Kopf. Ab und zu lugte er aus einem kleinen Spalt hervor und betrachtete das fremde Zimmer, das sich vor ihm im Blitzlicht ausbreitete.
Er hasste es. So, wie er Gewitter hasste. Na ja, eigentlich war das Dachbodenzimmer gar nicht soübel. Immerhin war es größer und gemütlicher, als sein eigenes in Wien. Ganz zu schweigen von der muffigen Schlafkammer im Internat. Dieses Zimmer war nicht nur groß, es lag auch abseits von den anderen, und die Dachfenster boten einen fabelhaften Ausblick auf den See.
Trotzdem, er hasste es!
Vor allem aber hasste er seine Eltern. Dafür, dass sie ihn den Sommerüber zur Großmutter nach Gmunden geschickt hatten. Einfach so! Ohne vorher zu fragen!
Denn seine Eltern, Moritz und Greta Moosbach, waren vielbeschäftigte Rechtsanwälte. Beide sehr wichtige Leute, jedenfalls betonten sie das ständig. Und weil sie so wichtig waren, sollten sie auch diesen sensationellen Fall in Amerikaübernehmen. Ausgerechnet in den Sommerferien. Ganze zwei Monate lang. Zwei Monate, in denen das Internat geschlossen war. Zwei Monate, die Laurenz gerne mit ihnen in den USA verbracht hätte. Aber davon wollten seine Eltern nichts wissen.
„Das geht nicht. Wir sind dort ständig am Arbeiten“, hatte sein Vater gemeint.Und Mutters Reaktion war auch nicht viel besser:„In Gmunden bei der Großmama bist du viel besser aufgehoben. Wenn du erwachsen bist, wirst du das verstehen: So eine Chance bekommen wir nie wieder.“
Pah, von wegen! Laurenz verstandüberhaupt nichts. Schon gar nicht seine blöden Eltern. Zornig wickelte sich Laurenz enger in die Decke und unterdrückte mühsam eine Träne. Es war ja nicht so, dass er sie vermissen würde. Außerdem war es im Sommer in der Stadt ohnehin brütend heiß und stinklangweilig. Dennoch– sie hätten ihn fragen müssen!
Wieder krachte es. Das Gewitter brüllte mit aller Gewalt gegen das alte Gemäuer. Es schien, als ob Wind, Blitz und Donner um die alleinige Herrschaft kämpften. Entweder heulte es oder es blitzte oder es donnerte. Oder alles zugleich.
Ein Kampf zwischen Gut und Böse, dachte Laurenz einen Augenblick lang und war froh, bei dem Wetter nicht im Freien sein zu müssen. Hatte erüberhaupt schon jemals ein so starkes Unwetter erlebt? Fast schien es, als ob ihn das Gewitter mit aller Kraft aus Gmunden vertreiben wollte ...
... und dann kam es ihm vor, als ob der Wind seinen Namen heulte. Ganz lang und ganz schaurig: Lauuuurrreeeenz ... Lauuuurrreeeenz ...
Ein Schauer lief ihmüber den Rücken. Denk an etwas anderes, befahl er sich und hielt sich schnell die Ohren zu, weil das unheimliche Sturmheulen nicht aufhören wollte.
Da ertönte, wie auf Kommando, die Stimme seiner Mutter, die in solchen Momenten gerne zu sagen pflegte:„Ich weiß nicht, woher das Kind diese Fantasie hat. Von meiner Familie jedenfalls nicht! Er hat das sicher von Urururonkel Rufus väterlicherseits geerbt, diesem komischen Kauz. Der Moosbachvorfahre soll ja auch stetsmehr gesehen haben, als normal war ...“
Und schon war sie wieder da: Diese Wut im Bauch, die Laurenz gerade recht kam. Sie würde ihn von der unheimlichen Gewitternacht ablenken. Jedenfalls hoffte er das. Und so grübelte er noch lange nach.Über viele Dinge. Auch darüber, warum er in