1. Kapitel
Ich klammerte mich an einer Strebe fest, während der Mule hüpfte und schlingerte und seine Teile schepperten wie ein Schrottwagen aus dem Korea-Krieg. Ich blies Luft nach oben in dem vergeblichen Versuch, die Haare zu befreien, die auf meiner Stirn klebten, denn loslassen wollte ich die Verstrebung dieses allradgetriebenen Geländefahrzeugs auf gar keinen Fall.
Wie ich mir eine Künstlerkolonie auch vorgestellt hatte, zu meinem Bild gehörten auf jeden Fall zahlreichere und besser erhaltene Straßen. Diese hier bestand aus dichtem Wald, einem gelichteten Streifen für Stromleitungen und einem Netzt holperiger Wege durch dichtes Unterholz. North Carolina meets Jurassic Park.
Aber ich war nicht hier, um mit der Natur zu kommunizieren oder um die Kreativität meiner linken Gehirnhälfte zu fördern. Ich war hier, um eine Leiche zu bergen.
Eigentlich hatte ich für heute ein paar entspannte Runden auf dem Booty Loop, Charlottes berühmter Jogging-Strecke, Mittagessen mit meiner Freundin Anne und einen Bummel durch die Galerien in NoDa, dem Kunstdistrikt nördlich der North Davidson Street, geplant. Ich schnürte mir gerade meine Nikes, als ich den Anruf meines Chefs erhielt.
»Es ist Samstag«, hatte Anne protestiert, als ich ihr die schlechte Nachricht überbrachte. »Warum kann das denn nicht warten?«
»Willst du vor dem Mittagessen wirklich über Verwesung reden?«
»Ist für so etwas nicht die Polizei zuständig?«
»Das ist mein Fall.« Als forensische Anthropologin des Mecklenburg County Medical Examiner sind nicht identifizierbare menschliche Überreste mein Fachgebiet. »Vor ein paar Wochen wurden am Mountain Island Lake eine Fibula und eine Tibia, also ein Schien- und ein Wadenbein sowie zwei Wirbel gefunden. Die Polizei dachte, es handle sich um eine vermisste Person namens Edith Blankenship.«
»Ich habe in den Nachrichten davon gehört. Ein Collegemädchen, nicht?«
»Masterstudentin an derUNCC.« Ich meinte damit die University of North Carolina-Charlotte, mein zweiter Arbeitgeber.
»Nicht Edith?«
»Der Amelogenin-Test ergab, dass die Knochen von einem Mann stammen«, sagte ich.
»Ich steh drauf, wenn du schmutzige Wörter in den Mund nimmst.«
»Ich habe den Kerl noch nicht identifiziert.« Der Unbekannte lag in einer Kiste in meinem Labor. Fallnummer:MCME-422-13. Ich hatte eine Sonaruntersuchung der kleinen Bucht beantragt, in der die Knochen angespült worden waren. War jetzt vielleicht gar nicht mehr nötig. W