Teil 1 Phänomen Mobbing– Begriff, Fakten, Verlauf, Folgen
Was ist unter Mobbing zu verstehen?
Gemobbt wurde mit Sicherheit schon in den ersten sozialen Gruppierungen der Urzeitmenschen. Unsoziale zwischenmenschliche Verhaltensweisen bis hin zu aggressivem Psychoterror gab es in den Betrieben auch schon immer. In den letzten Jahren sind sie intensiv in das Blickfeld derÖffentlichkeit gerückt, werden zu Recht angeprangert und erhielten ein griffiges, einprägsames Etikett: Mobbing!
Der Begriff Mobbing leitet sich aus dem englischen»to mob« her = bedrängen, anpöbeln, attackieren, angreifen,über jemanden herfallen, sich zusammenrotten (unabhängig von seinem englischen Ursprung hat sich in Großbritannien für Mobbing das eher gebräuchliche»Bullying« durchgesetzt, in den USA»Employee abuse«). Der Begriff Mobbing wurde ursprünglich von demösterreichischen Verhaltensforscher und Nobelpreisträger Konrad Lorenz geprägt, der damit den Angriff einer Gruppe von Tieren auf einen Eindringling kennzeichnete. In den Bereich menschlichen Sozialverhaltens wurde der Begriff in den sechziger Jahren von dem schwedischen Chirurgen Heinemannübertragen. 1993 führte der schwediche Arbeitspsychologe Prof. Leymann den Begriff Mobbing in Deutschland ein.
Wo Menschenüber eine längere Zeit zusammenarbeiten, finden wir auf Dauer nicht eine schöne heile Welt vor, sondern es kommt immer wieder zu Differenzen, welche uns dem täglichen Einerlei entreißen, die Wellen höher schlagen lassen und die auch ausgetragen werden. Hierbei zutage tretende Reibungen, Spannungen,Ärgernisse und Auseinandersetzungen zwischen Betriebsangehörigen gehören zur Arbeitswelt wie Wassermoleküle zum Meer. Ein harmloses Kollegen-tuscheln, ein lautstarker Streit zwischen Angehörigen einer Arbeitsgruppe oder ein gelegentliches Aneinandergeraten zweier Kampfhähne orten wir noch nicht als Mobbing. Alltägliche häufig stark emotionalisierte und eher der Normalität zuzurechnende Konflikte sind nicht Besorgnis erregend. Mit diesen Stresssituationen müssen wir wohl oderübel leben, denn»wo gehobelt wird, fallen Späne«. Und wenn diese Konflikte am nächsten Tag, nachdem sich die Gemüter beruhigt haben, in einem klärenden Gespräch aus der Welt geschafft werden, betrachten wir die Angelegenheit als erledigt– es hat halt wieder einmal»gemenschelt«.
Kritisch und gefährlich wird es im zwischenmenschlichen Umgang erst dann, wenn
- systematisch,
- gezielt,
- häufig und
- rechtswidrig
in das Persönlichkeitsrecht eines anderen Menschen eingegriffen wird. Dem Angreifer geht es vorrangig um feindselige, drangsalierende und schikanöse Attacken im Betrieb. Schlicht und einfach wird Psychoterror am Arbeitsplatz in menschenverachtender Weise ausgeübt. Wir haben es dann mit absolutem Mobbing zu tun.
Die umfassendste und bekannteste Definition lautet:
- Mobbing = eine Reihe von negativen kommunikativen Handlungen, die während einer längeren Zeit (mindestens jedoch während eines halben Jahres mindestens einmal in der Woche) von einer Einzelperson oder mehreren Personen gegen eine bestimmte Person gerichtet sind.
Am Rande sei auf zwei Nuancen des Mobbing hingewiesen:
Setzt ein Vorgesetzter seinen Mitarbeiter unter Druck, um entweder Anpassung und Unterwürfigkeit zu erzeugen oder den Mitarbeiter von seinem Arbeitsplatz zu verdrängen, werden diese unfairen Attacken mit»Bossing« umschrieben (= Mobbing von oben nach unten = Abwärts-Mobbing).
Angriffe gegen einzelne Führungskräfte oder gegen die Führungsebene seitens der Mitarbeiter heißen»Staffing« (= Mobbing von unten nach oben = Aufwärts-Mobbing). Absicht ist der Ruin eines Vorgesetzen oder der Führungsebene oder der gesamten Personal- und Unternehmenspolitik.
Ziel der Mobbingaktivitäten ist,
- die zwischenmenschliche Kommunikation des Gemobbten verkümmern zu lassen,
- die Zusammenarbeit zu ihm in Richtung null zu vermindern sowie
- soziale Beziehungen abzublocken und das soziale Ansehen nachhaltig zu schädigen
in der Erwartung, dass sich der Gemobbte schließlich zurückzieht und von sich aus den Arbeitsplatz verlässt.
Worum es bei Mobbing im Arbeitsleben gehen kann, entnehmen wir vielen Umschreibungen:
- Abschießen
- Ausfrieren
- Ausgrenzen
- Ausmanövrieren
- Bösartigkeit
- Bürokrieg
- Demütigung
- Diffamierung
- Drohung
- Ekelwelle
- Feindseligkeit
- Fertigmachen
- Gehässigkeit
- Gemeinheit
- Gezielter Abschuss ins Rentnerdasein
- Grabenkampf
- Guerillakrieg
- Heimtücke
- Intrige
- Kaltstellen
- Kampf der Kollegen
- Kesseltreiben
- Kollegen-Killing
- Komplott
- Lächerlichmachen
- Menschenverachtung
- Nötigung
- Organisierte Ekelhaftigkeit
- Organisierte Gemeinheit
- Pöbelei
- Psychische Gewalt
- Psychologische Kriegsführung
- Psychokrieg
- Psychostress
- Psychoterror
- Quälorgie
- Ränkespiel
- Rufmord
- Schikane
- Schlammschlacht
- Seelenterror
- Sexuelle Belästigung
- Spießrutenlaufen
- Stichelei
- Täglicher Kleinkrieg
- Terrorisieren
- Tratsch
- Treibjagd am Arbeitsplatz
- Unverschämtheit
- Verbales Kollegengemetzel
- Verleumdung
Weshalb treten in letzter Zeit Mobbingaktivitäten verstärkt auf?
Schiller formulierte in»Wilhelm Tell«:
»Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt.«
Nicht nur der böse Nachbar, sondern auch der böse Kollege oder die böse Kollegin kann uns um den inneren Frieden bringen. Für den aufmerksamen Betrachter verstärkt sich der Eindruck, dass Mobbingaktivitäten vermehrt auftreten. Fast jeder dürfte in seinem Berufsleben die eine oder andere Spielart von Mobbing erlebt haben, als Gemobbter, als Mobber oder als neutraler Beobachter.
Untersuchungen gehen von 800.000 Berufstätigen aus, die in Deutschland gemobbt werden. Woran mag es liegen, dass heute in derart großem Umfang Psychoterror in den Betrieben und Verwaltungen praktiziert wird?
Mehrere Gründe können hierfür herangezogen werden:
- Während in früheren Zeiten vorrangig schikanöses Verhalten von Vorgesetzten im Vordergrund der Betrachtung stand, werden zu Mobbingfällen ausufernde betriebliche Konflikte heutzutage auf unterschiedlichen Ebenen ausgetragen: Der Vorgesetzte mobbt seinen Mitarbeiter (= Mobbing von oben nach unten), Kollegen»gehen aufeinander los« (= Mobbing auf derselben Ebene), und Mitarbeiter beginnen systematisch Vorgesetzte»abzuschießen« (= Mobbing von unten nach oben).
Eine in Schweden durchgeführte repräsentative Befragung lässt erkennen, dass Mobbing unter Kollegen am häufigsten vorkommt, während Mobbinghandlungen seltener gegen Vorgesetzte gerichtet sind, weil hierbei die Gefahr zu groß ist, den Kürzeren zu ziehen.- Mobbing auf derselben Ebene 44 %
- Mobbing von oben nach unten 37 %
- Kombination von a) und b) 10 %
- Mobbing von unten nach oben 9 %
Ein allgemeines»Jeder gegen jeden« auf allen hierarchischen Ebenen greift um...