Queen of Night
»Du hast Glück«, sagt Heckenschütze. Er erwischt dich, wenn du damit überhaupt nicht rechnest. Immer todernst. Ich und Glück? Bald der zweite Sommer im Knast? Und da will er mir einreden, ich hätte Glück? Was soll ich ihm auf diesen Schwachsinn sagen? »Hast du schon von Herrn Samper gehört?«, fragt der Knastleiter, wartet aber mein »Nein« nicht ab. »Herr Samper ist der Vorsitzende eines Fördervereins für jugendliche Strafgefangene. Er nimmt dich bei sich auf.«
»He?«, sage ich. Mein erstes Wort hier.
»Wir entlassen dich im Rahmen eines Resozialisierungsprogramms auf Bewährung und du bekommst im Geschäft von Herrn Samper in München eine Ausbildungsstelle. Du bist doch aus München, oder?«
»Was für ein Geschäft denn?«
»Ein Blumenladen!«
Ein Blumenladen? Der Typ hat sie nicht alle. »Ich will nicht in einem Blumenladen arbeiten«, sage ich. »Ich hasse Blumen!«
»Warum denn?«
»Blumen haben meine Mutter gekillt!«
Heckenschütze wühlt in den Papieren auf seinem Tisch. »Hier steht, deine Mutter ist bei einem Autounfall umgekommen.«
»Mutter hat sich an einer Kreuzung in ein Rosenbeet verguckt und das Rot an der Ampel übersehen.«
»Das weiß niemand, wie es genau war.«
»Ich schon!«
»Wie dem auch sei. Hast du noch Kontakt zu deinem Vater? Er hat dich hier kein einziges Mal besucht.«
»Mein Vater lebt seit drei Jahren in einem Aschram in Indien.«
»Was macht er dort?«
»Muss den Tod meiner Mutter verarbeiten.«
Heckenschütze raschelt wieder in seinen Papieren. »Dein Vater kommt aus Altötting, oder?«
»Ja!«
»Dann ist alles klar!«, sagt er. »Da ist die Adresse von Herrn Samper.«
KLOPF, KLOPF an die Tür. Sepp der Hammer trottet herein. Wenn seine Hände nicht Hämmer wären, könnte man sie auch als Baggerschaufeln bezeichnen. »Da sind seine Entlassungspapiere, sein Ausweis und der Rest!«, sagt Heckenschütze und reicht dem Knastwärter einen Stapel Wische.
Und schon stehen wir in seiner Tür – die erste der Türen, die in die Freiheit führen. »Leon!« Ich drehe mich wieder um, erwarte Schlimmes. Jetzt sagt der Knastleiter: »Es geht doch nicht«, und ich muss wieder in meine Zelle. »Wenn du draußen etwas anstellst, bist du ruck, zuck wieder bei uns«, sagt Heckenschütze. »Und dann gibt’s keine Bewährung mehr.« Ich nicke. Noch bevor die Tür hinter uns ganz zugeht, höre ich seinen letzten Satz: »Wer wird sich jetzt um unsere Computer kümmern?« Seufzer. Tür zu. Die anderen Jungs hatten Computerverbot. Ich war eine Ausnahme. Was IT angeht, hat man mich hier gebraucht.
Im Flur taucht Lutz auf, mein Psychologe. »Leon! Halte draußen die Ohren steif!«
»Mach ich, Lutz! Danke für alles!« Klar wusste ich, dass ich irgendwann auf Bewährung rauskommen würde. Nur so früh? Lutz hat alles klargemacht, einen guten Anwalt aufgetrieben. Hab mich dagegen nicht gewehrt. Salami hat hier jetzt auch andere Freunde als mich, nicht wie am Anfang, er kommt durch. Aber ein Blumenladen? Na ja. Auch e