: Lorenz Langenegger
: Hier im Regen Roman
: Jung und Jung Verlag
: 9783990271179
: 1
: CHF 8.80
:
: Erzählende Literatur
: German
: 168
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Drei Tage aus dem Leben eines Schweizer Sonderlings. Sie werden dennoch das Buch nicht aus der Hand geben wollen.Seit Robert Walsers Figuren ist wohl keiner das Selbstverständlichste, um nicht zu sagen Allergewöhnlichste auf ebenso behutsame wie bohrende Weise zum Problem geworden wie Jakob Walter, der seine Arbeit in Bern bei der Steuerverwaltung hat. Ja, Bern zum Beispiel, warum seit Jahren schon Bern? Und wo ist sein Freund Rolf, der Wirt? Wirklich ertrunken? Und was nun tun an diesem Nationalfeiertag, nachdem Edith zu ihren Eltern gefahren ist? Rolf suchen?Steuerverwaltung, Schweizer Nationalfeiertag, Edith bei den Eltern - unspektakulärer kann das Setting eines Romans kaum sein, um nicht zu sagen - langweiliger. Aber von wegen: einlässlicher, mitfühlender, um nicht zu sagen kurzweiliger ist sehr lang nicht vom Leben eines Menschen erzählt worden, und endlich einmal nicht, indem man es ins Komische verschiebt. Lorenz Langenegger erweist sich in seinem ersten Roman als ein höchst aufmerksamer Begleiter seines Alltags-Helden. Es sind die Momente der Verstörung, der Sehnsucht und des Trostes, mit denen der junge Autor seinem Jakob Walter die Seele gibt, die dieser sich selber kaum zugestanden hatte.Dies ist ein Buch, das zu Herzen geht und dort auch bleibt.

1980 in Gattikon in der Schweiz geboren, lebt heute in Wien und Zürich. Neben zahlreichen Arbeiten fürs Theater (Urauf­führungen u.a. in Zürich, Mannheim und Berlin) und fürs Fernsehen (u.a. Schweizer Tatort) hat er bislang fünf Romane veröf­fentlicht.

I


Wenn Jakob Walter erwacht, ist um ihn herum erst einmal nichts. Die ersten Sekunden des Tages, in denen die einen den Schattengestalten ihrer Träume begegnen, andere im Kopf bereits Unerledigtes auflisten und ihr Tagwerk vorbereiten, braucht Walter, um sich im Schlafzimmer seiner eigenen Wohnung zurechtzufinden. Es ist ihm, als ob er jeden Tag zum ersten Mal in diesem Doppelbett neben Edith erwachen würde. Stück für Stück setzt er die altbekannte Welt zusammen. Die Hand seiner Frau greiftüber ihn hinweg und stellt das Klingeln des Weckers ab. Sie steigt aus dem Bett, fast nackt, aber noch ganz ohne Bewusstsein für ihren Körper. Das Licht im Flur geht an und wirft einen ersten Fleck von Tag durch die offene Tür aufs Bett. Walter schlägt die Decke zurück und setzt sich auf. Seine müden Augen mustern die wenigen Gegenstände des Schlafzimmers und ordnen sie ein in den neuen Morgen. Die ebenmäßig weiße Schiebetür von Ediths Kleiderschrank bietet seinen Augen keinen Halt. Aus der Decke ragen drei Drähte, da wo eine Lampe hingehört. In der Ecke neben dem Fenster steht der Stuhl mit seinen Kleidern.

Es ist Freitag, ein weiterer gewöhnlicher Tag in seinem Leben, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass er sich aufÜberraschungen gefasst machen müsste. Er will schon aufstehen, den Schlaf in Gestalt der im Bett gespeicherten Wärme hinter sich lassen und den Tag beginnen, als ihm eine Ungewöhnlichkeit ins Auge sticht. Auf dem Stuhl mit seinen Kleidern liegt ein fremdes Kleidungsstück. Nie hat er einen Pullover mit einem solchen Muster getragen, und doch weiß er mit Sicherheit, dass niemand außer ihm Kleider auf diesen Stuhl ablegt. Edith hängt ihre ordentlich in den Schrank. Walter steht auf und indem er sich dem Stuhl nähert, erkennt er, dass er am gestrigen Abend beimÜberstreifen des Pullovers einenÄrmel verdreht hat und dieser nun aus dem Halsausschnitt hervorschaut. Die Rückseite desÄrmels hat ihn getäuscht. Er dreht denÄrmel um und legt den Pullover zurück auf den Stuhl. Er ist froh, dass sich das Rätsel um den fremden Pullover so schnell geklärt hat, nicht auszudenken, was ein fremder Pullover auf seinem Stuhl hätte auslösen können. Er hätte Edith bezichtigt, dass sie in irgendeiner Form mit fremden Männerpullovern zu schaffen habe. Sie hätte ihm heftig widersprochen und er hätte ihr glauben müssen, weil es keine schlechtere Lügnerin als Edith gibt. Das aber hätte zur Folge, dass es eine Verbindung zwischen ihm und dem Pullover gäbe, weil sich außer Edith und ihm noch nie eine Drittperson in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer der Kleider entledigt hat. Walter bricht das Gedankenspiel ab. Er mag sich nicht ausmalen, was es bedeuten würde, wenn er der Integrität und Einheit seiner Person nicht mehr trauen könnte. Gestern schon hat er sich den ganzen Abend mit einer unangenehmen Frage herumgeschlagen, erinnert er sich, heute will er unbeschwert zur Arbeit gehen.

Mit der Erinnerung an die unangenehme Frage stellt sich selbige aber auch schon wieder ein, ganz von selbst, er kann es nicht verhindern. Ich weiß es nicht, möchte er rufen, keine Ahnung, weshalb ich in dieser Stadt lebe, stattdessen zieht er sein Pyjama aus. Entblößt trete ich der Frage entgegen, denkt er, und sie hat die Unverschämtheit zu bleiben, irgendein Motiv muss es schließlich geben, ein Mensch lebt nicht grundlos an einem Ort, er kann sich bewegen. Die Sesshaftigkeit, der das Menschengeschlecht so viel zu verdanken hat, löst sich nach vielen tausend Jahren Beständigkeit langsam wieder auf. Walter nimmt ein Hemd vom Stuhl, schlüpft hinein und knöpft es zu. Es bleibt ihm nichts anderesübrig, er wird sich während des Frühstücks und vermutlich, zumind