: Brennan Manning
: Kind in seinen Armen Gott als Vater erfahren
: SCM R.Brockhaus im SCM-Verlag
: 9783417227222
: Edition Aufatmen
: 1
: CHF 7.10
:
: Spiritualität
: German
: 176
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses aufrüttelnde Buch möchte Mut machen, sich vom christlichen Leistungsdenken zu verabschieden. Denn oft setzen sich viele Christen selbst unter Druck, weil sie meinen, sie müssten etwas Großes und Besonderes sein. Sie quälen sich mit Selbstvorwürfen und gehen auch mit anderen hart ins Gericht. Brennan Manning lädt dazu ein, Gott neu kennenzulernen und alte Denkmuster aufzugeben. Denn der Autor hat selbst erfahren: Gott liebt uns so, wie wir sind, und er brennt darauf, uns wie ein gütiger Vater in die Arme zu schließen.

Brennan Manning, 1934 in New York geboren, ehemaliger Franziskaner, ist Evangelist und Bestsellerautor. Er arbeitete in Spanien, war Geistlicher unter Garnelen-Fischern in Alabama und Studentenseelsorger in Florida, wurde alkoholabhängig, verließ seinen Orden. Seine letzten Jahre verbrachte er in New Orleans, wo er auch 2013 starb.

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2. Der Schwindler


Eine Maske aufbauen


Leonard Zelig ist der Inbegriff desNebbich (jiddisch für Nichtsnutz). In Woody Allens heiterem und nachdenklichem FilmZelig ist er ein gefeiertes Nichts, dasüberall hinpasst, weil es sich jeder beliebigen Situation anpassen kann. Zelig reitet in einer Parade durch den Heldencanyon von Mohalles; er steht zwischen den ehemaligen US-Präsidenten Herbert Hoover und Calvin Coolidge; er albert mit Preisboxer Jack Dempsey herum und plaudert mit Bühnenautor Eugene O’Neillübers Theater. Als Hitler seine Anhänger in Nürnberg versammelt, steht Leonard natürlich mit auf dem Podium.

»Er hat keine eigene Persönlichkeit, deshalb schlüpft er in die Rolle jeder starken Persönlichkeit, der er begegnet. Bei den Chinesen kommt er geradewegs aus China. Trifft er einen Rabbi, wachsen ihm auf wundersame Weise Bart und Schläfenlocken. Eräfft den Jargon der Psychiater nach und streicht sich mit feierlichem Ernstübers Kinn. Im Vatikan gehört er zum geistlichen Gefolge von Papst Pius XI. Im Frühjahrsmanöver trägt er eine Yankee-Uniform und steht im Baseballkreis, um Babe Ruth, den berühmtesten Baseballspieler Amerikas, zu schlagen. Er nimmt die schwarze Haut des Jazztrompeters an, die Speckrollen eines Dickwansts, das Profil eines Indianers. Er ist ein Chamäleon. Er verändert Hautfarbe, Akzent und Gestalt, sowie die Welt um ihn herum sich verändert. Er hat keine eigenen Ideen und Meinungen, er passt sich einfach an. Er möchte nur sicher sein, dazugehören, akzeptiert und gemocht werden … Er ist berühmt dafür, ein Nichts zu sein, ein Nicht-Mensch.«16

Ich könnteüber Allens Karikatur des Menschen, der allen gefallen will, hinweggehen, wenn ich nicht so viel von Leonard Zelig an mir selbst entdecken würde. Der absolute Schauspieler folgt meinen egoistischen Wünschen. Er trägt tausend Masken. Die glänzende Fassade muss um jeden Preis aufrechterhalten werden. Der fromme Hochstapler und Maskenträger zittert bei dem Gedanken, er könnte das Missfallen oder den Zorn der anderen auf sich ziehen. Unfähig zur direkten Rede, windet er sich; er quasselt und zaudert und schweigt aus Angst vor Ablehnung.»Das falsche Ich spielt seine trügerische Rolle, indem es uns angeblich schützt – doch in einer Weise, die darauf programmiert ist, die Angst in uns wach zu halten: die Angst davor, im Stich gelassen zu werden, den Halt zu verlieren, es nicht allein zu schaffen, nicht allein sein zu können.« (James Masterson)17

Fromme Schauspieler und Hochstapler leben in der Angst. Jahrelang habe ich mich zum Beispiel gerühmt, pünktlich zu sein. Doch in der Stille und Einsamkeit der Berghütte in Colorado wurde mir klar, dass meine Pünktlichkeit in der Angst vor menschlichem Tadel wurzelte. Mahnende Stimmen von Autoritätspersonen aus der Kindheit haben sich in meiner Seele eingenistet und warnen noch heute vor Rüffeln und Strafe.

Schwindlern liegt daran, akzeptiert und gelobt zu werden. Wegen des lähmenden Drangs, anderen zu gefallen, können sie nicht mit derselben Zuversicht Nein sagen, mit der sie Ja sagen. Und so geben sie sich selbst in Menschen, Projekte und Angelegenheiten hinein, nicht aus persönlichem Interesse, sondern aus Angst, den Erwartungen der anderen sonst nicht zu entsprechen.

Dieses falsche Ich entsteht, wenn wir als Kinder nicht richtig geliebt, wenn wir abgelehnt oder verlassen werden. Der Schwindler ist der klassische Co-Abhängige. Um anerkannt zu werden, unterdrückt oder versteckt das falsche Ich die eigenen Emotionen. Ehrliche Gefühle werden damit unmöglich. John Bradshaw definiert Co-Abhängigkeit als eine Krankheit,»die von einem Identitätsverlust gekennzeichnet ist. Co-abhängig zu sein bedeutet, die eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche nicht zu kennen«.18 Wenn wir aus einem falschen Selbst leben, wächst in uns der zwingende Wunsch, derÖffentlichkeit ein perfektes Bild von uns zu präsentieren. Alle sollen uns bewundern, aber niemand kennt uns. Das Leben des Schwindlers wird zur endlosen Achterbahn, einem Auf und Ab zwischen Hochgefühl und Depression.

Das falsche Ich braucht Erfahrungen von außen, um einen persönlichen Sinn zu finden. Das Streben nach Geld und Macht, nach Glanz oder sexuellem Heldentum, nach Anerkennung und Status stärkt die eigene Bedeutung und schafft die Illusion, Erfolg zu haben. Der Schwindler ist, was ertut.

Lange Jahre habe ich mich durch meine»Leistungen« im Dienst für Gott vor meinem wahren Ich versteckt. Durch Predigten, Bücher und Geschichten schuf ich mir meine Identität. Wenn die Mehrheit meiner christlichen Zuhörer und Leser gut von mir dachte – so versuchte ich mir selbst zu erklären –, war mit mir alles in Ordnung. Je mehr ich in den Erfolg im Dienst investierte, desto echter wurde der Hochstapler. Der Hochstapler bringt uns dazu, Unwichtiges für wichtig zu halten, das Unwesentliche mit einem falschen Glanz zu umgeben und uns vom Echte