: Berthold Auerbach
: Barfüßele Eine Dorfgeschichte
: e-artnow
: 9788026805724
: 2
: CHF 1.80
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 280
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses eBook: 'Barfüßele' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Amrei, Tochter eines Holzbauern und einer Tagelöhnerin, verliert als kleines Kind ihre Eltern. Sie wächst getrennt von ihrem Bruder bei einer Pflegemutter auf, arbeitet als Gänsehirtin sowie als Magd und ist im ganzen Dorf als Barfüßele bekannt. Im Vordergrund steht die innere Entwicklung Amreis zu einer selbstbewussten und eigenständigen Persönlichkeit. Die Erzählung überzeugt durch die realistische Darstellung der dörflichen Lebensverhältnisse. Barfüßele wurde rasch ein internationaler Erfolg und in fast alle europäischen Sprachen übersetzt, teilweise mehrfach.

2. Die ferne Seele.


Der Rodelbauer, dessen Haus mit dem rothangestrichenen Gebälk und einem frommen Spruch in großer Herzform, nicht weit vom Hause des Josenhans stand, hatte sich vom Gemeinderath zum Pfleger der verwaisten Kinder ernennen lassen. Er weigerte das um so weniger, da Josenhans vordem als Anderknecht bei ihm gedient hatte. Seine Pflegschaft bestand aber in weiter nichts, als daß er die unverkauften Kleider des Vaters aufbewahrte und manchmal, wenn er Einem der Kinder begegnete, im Vorübergehen fragte:»bist brav?« und ohne die Antwort abzuwarten, weiter schritt. Dennoch war in den Kindern ein seltsamer Stolz, da sie erfuhren, daß der Großbauer ihr Pfleger sei; sie kamen sich dadurch als etwas ganz Besonderes, fast Fürnehmes vor. Sie standen oft abseits bei dem großen Hause und schauten verlangend hinauf, als erwarteten sie Etwas und wußten nicht was; und bei den Eggen und Pflügen neben der Scheune saßen die Kinder oft und lasen immer wieder den Bibelspruch am Hause. Das Haus redete doch mit ihnen, wenn auch sonst Niemand daraus.

Es war am Sonntag vor Allerseelen, als die Kinder wiederum vor dem verschlossenen Elternhaus spielten– sie waren wie an den Ort gebannt– da kam die Landfriedbäuerin den Hochdorfer Weg herein; sie trug einen großen rothen Regenschirm unterm Arm und ein schwarzes Gesangbuch in der Hand. Sie machte den letzten Besuch in ihrem Geburtsorte, denn schon gestern hatte der Knecht auf einem vierspännigen Wagen den gesammten Hausrath zum Dorf hinausgefahren und morgen in der Frühe wollte sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern auf das neuerkaufte Gut im fernen Allgäu ziehen. Schon von weitem bei der Hanfbreche nickte die Landfriedbäuerin den Kindern zu, denn Kinder sind ein guter»Angang«– so nennt man die erste Begegnung– aber die Kinder konnten nichts davon sehen, so wenig als von den wehmuthsvollen Mienen der Bäuerin. Als sie jetzt bei den Kindern stand, sagte sie:»Grüß Gott, Kinder! Was thut denn ihr schon da? Wem gehöret ihr?«

»Da dem Josenhans,« antwortete Amrei, auf das Haus deutend.

»O ihr armen Kinder,« rief die Bäuerin, die Hände zusammenschlagend;»dich hätt’ ich kennen sollen, Mädle, grad so hat deine Mutter ausgesehen, wie sie mit mir in die Schul’ gegangen ist. Wir sind gute Kamrädinnen gewesen und euer Vater hat ja bei meinem Vetter, dem Rodelbauer, gedient. Ich weiß Alles von euch. Aber sag’ Amrei, warum hast du keine Schuhe an? Du kannst ja krank werden bei dem Wetter? Sag’ der Marann’, die Landfriedbäuerin von Hochdorf ließe ihr sagen, es sei nicht brav, daß sie dich so herum laufen läßt. Nein, brauchst Nichts sagen, ich will schon selber mit ihr reden. Aber Amrei, du mußt jetzt groß und gescheidt sein und selber auf dich Acht geben. Denk’ daran, wenn das deine Mutter wüßt’, daß du in solcher Jahrszeit so barfuß herumlaufst!« Das Kind schaute die Bäuerin groß an, als wollte es sagen: weiß denn die Mutter Nichts davon? Die Bäuerin aber fuhr fort:»Das ist noch das Aergste, daß ihr nicht einmal wissen könnet, was für rechtschaffene Eltern ihr gehabt: drum müssen’s euchältere Leute sagen. Denket daran, daß ihr euren Eltern erst die rechte Seligkeit gebt, wenn sie im Himmel droben hören, wie hier unten die Menschen sagen: des Josenhansen Kinder, die sind die Probe von allem Guten, da sieht man recht deutlich den Segen der rechtschaffenen Eltern.«

Rasche Thränen rannen bei diesen letzten Worten der Bäuerin von den Wangen. Die schmerzliche Rührung in ihrer Seele, die noch einen ganz andern Grund hatte, brach jetzt bei diesen Gedanken und Worten unaufhaltsam hervor, und Eigenes und Fremdes floß ineinander. Sie legte ihre Hand auf das Haupt des Mädchens, das im Anblick der weinenden Frau auch heftig zu weinen begann; es mochte fühlen, wie sich eine gute Seele ihm zuwendete, und eine dämmernde Ahnung, daß es wirklich seine Eltern verloren, begann ihm aufzugehen.

Das Angesicht der Frau aber leuchtete plötzlich auf. Sie richtete das Auge, in dem noch Thränen hingen, zum Himmel auf und sagte:»Guter Gott, das schickst Du mir.« Dann fuhr sie zu dem Kind gewendet fort:»Horch, ich will dich mitnehmen. Meine Lisbeth ist mir in deinem Alter genommen worden. Sag, willst du mit mir in’s Allgäu gehen und bei mir bleiben?«

»Ja,« sagte Amrei entschlossen.

Da fühlte sie sich von hinten angefaßt und geschlagen.

»Du darfst nicht,« rief Dami, der sie umfaßte und sein ganzes Wesen zitterte.

»Sei stet,« beruhigte Amrei,»die gute Frau nimmt dich ja auch mit. Nicht wahr, mein Dami geht auch mit uns?«

»Nein, Kind, das geht nicht, ich hab’ Buben genug.«

»Dann bleib’ ich auch da,« sagte Amrei und faßte ihren Bruder an der Hand.

Die fremde Frau war in sich zusammengeschauert und jetzt sah sie mit einer Art von Erleichterung auf das Kind. Inüberwallender Empfindung, vom reinsten Zuge des Wohlthuns erfaßt, hatte sie eine That und eine Verpflichtung auf sich nehmen wollen, deren Schwere und Bedeutung sie nicht sattsamüberlegt hatte, und namentlich wie ihr Mann, ohne vorher gefragt zu sein, das aufnehmen werde. Als jetzt das Kind selber sich weigerte, trat eine Ernüchterung ein und ihr ward