1. Kapitel
Rote Seide schmiegte sich an meine Hüften und formte sich zu einem Mieder, das meine Kurven betonte. Das Haar trug ich offen und es fiel mir seidigüber die Schultern wie die Blütenblätter einer exotischen Blume. Die Lichter im Ballsaal hoben den Fall des Stoffs hervor, und bei jedem Schritt sah es so aus, als stünde ich in Flammen.
Er blieb stehen, und seine Lippenöffneten sich, als sei er bei meinem Anblick erstarrt. Heiße Röte stieg mir in die Wangen. Die Situation würde immer heikler werden, solange wir von der Menschenmenge umgeben waren und er mich so ansah. Andererseits konnte ich mich nicht zum Gehenüberwinden. Ich gehörte hierher, zu ihm. Es war die richtige Wahl gewesen.
Aber ich… hatte ihn nicht gewählt.
Ringsum bewegten sich die Tänzer immer langsamer. Ihre Gesichter verbargen sich hinter Masken, die mit glitzernden Edelsteinen besetzt waren. Die ergreifende Melodie, die das Orchester spielte, drang mir unter die Haut bis tief in mein Inneres. Die Tänzer wichen auseinander.
Nichts trennte uns.
Ich versuchte zu atmen, doch er hatte mir nicht nur mein Herz geraubt, sondern auch die Luft zum Atmen.
Dort stand er, gekleidet in einen schwarzen Smoking, der so geschnitten war, dass er sich an die kantigen Umrisse seines Körpers schmiegte. Die Lippen hatte er zu einem schiefen Lächeln verzogen, das spitzbübisch und spielerisch wirkte. Er verneigte sich aus der Hüfte heraus und streckte mir einen Arm entgegen.
Beim ersten Schritt fühlten sich meine Beine schwach an. Die blinkenden Lichterüber uns erhellten den Weg zu ihm, aber wenn nötig, hätte ich ihn auch im Dunkeln gefunden. Sein Herz schlug im gleichen Takt wie meines.
Sein Lächeln wurde breiter.
Mehr Ermunterung brauchte ich nicht. Ich lief auf ihn zu und das Kleid strömte hinter mir her wie ein Fluss aus scharlachroter Seide. Er richtete sich auf und umfing meine Taille, während ich die Arme um seinen Hals schlang. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust und sog seinen Duft nach Meer und brennendem Laub ein.
Alle beobachteten uns, aber das hatte nichts zu bedeuten. Wir befanden uns in unserer eigenen Welt, und wichtig war nur, was wir wollten– wonach wir uns so lange gesehnt hatten.
Er wirbelte mich herum und lachte dabei leise in sich hinein. Meine Füße berührten nicht einmal den Boden des Ballsaals.»So verwegen«, murmelte er.
Zur Antwort lächelte ich, denn ich wusste, dass er diese Eigenschaft von mir insgeheim liebte.
Er setzte mich wieder auf dem Boden ab, ergriff meine Hand und legte seine andere in mein Kreuz. Als er wieder sprach, war seine Stimme ein leises, sinnliches Flüstern.»Du siehst so wunderschön aus, Alex.«
Mir ging das Herz auf.»Ich liebe dich, Aiden.«
Er küsste mich auf den Scheitel und dann drehten wir uns schwindelerregend schnell im Kreis. Nach und nach gesellten sich andere Paare zu uns, und ich erblickte strahlend lächelnde Münder und eigenartige Augen hinter den Masken– vollständig weiße Augen ohne Iris. Mir wurde immer unbehaglicher zumute. Diese Augen… ich wusste, was sie bedeuteten. Wir glitten auf eine Ecke zu, aus der ich im Dunkeln ein leises Stöhnen vernahm.
Ich spähte in den umschatteten Winkel des Ballsaals.»Aiden…?«
»Psst!« Seine Hand glitt an meinem Rückgrat herauf und legte sich in meinen Nacken.»Liebst du mich?«
Unsere Blicke trafen sich und konnten sich nicht mehr voneinander lösen.»Ja.Ja. Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt.«
Aidens Lächeln verblasste.»Liebst du mich mehr als ihn?«
Ich erstarrte in seiner Umarmung, die er plötzlich gelockert hatte.»Mehr als wen?«
»Ihn«, wiederholte Aiden.»Liebst du mich mehr als ihn?«
Mein Blick glitt an ihm vorbei ins Dunkel. Ein Mann wandte uns den Rücken zu. Er schmiegte sich an eine Frau und hatte die Lippen auf ihren Hals gelegt.
»Liebst du mich mehr als ihn?«
»Wen?« Ich wollte mich enger an ihn drängen, doch er hielt mich zurück. Ein unsicheres Gefühl breitete sich in meinem Innern aus, als ich die Enttäuschung in seinen silbrigen Augen sah.»Was ist mit dir, Aiden?«
»Du liebst mich nicht.« Er ließ die Hände sinken und trat zurück.»Du liebst mich nicht, wenn du mit ihm zusammen bist, wenn du ihn wählst.«
Der Mann wandte sich halb um und sah uns an. Aiden lächelte und in seinem Blick lag eine ganze Welt voll dunkler Verheißungen. Eine Welt voller Versprechen, auf die ich eingegangen war, die ich gewählt hatte.
»Du liebst mich nicht«, erklärte Aiden noch einmal und zog sich in die Schatten zurück.»Du kannst es nicht. Du konntest es noch nie.«
Ich streckte die Hände nach ihm aus.»Aber…«
Es war zu spät. Die Tänzer rückten an mich heran und ich ging unter in einem Meer aus Ballkleidern und Geflüster. Ich rannte gegen sie an, kam aber nicht durch und konnte weder Aiden noch Seth finden. Jemand versetzte mir einen Stoß, ich fiel auf die Knie, und die rote Seide riss. Ich rief zuerst nach Aiden und dann nach Seth, aber keiner erhörte mein Flehen. Ich war verloren und starrte in die maskierten Gesichter, in seltsame Augen. Ich kannte diese Augen.
Es waren die Augen der Götter.
Ich fuhr hoch und saß senkrecht im Bett. Eine feine Schweißschichtüberzog meinen Körper und mein Herz schlug immer noch zum Zerspringen. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, doch dann erkannte ich die kahlen Wände meines Zimmers im Wohnheim.
»Was zur Hölle…?« Mit dem Handrücken fuhr ich mirüber meine feuchte, heiße Stirn. Ich kniff die tränenden Augen zu.
»Hmm?«, murmelte Seth im Halbschlaf.
Statt einer Antw