: Peter Boerner
: Johann Wolfgang von Goethe
: Rowohlt Verlag Gmbh
: 9783644501812
: 1
: CHF 10.00
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: Biographien, Autobiographien
: German
: 160
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Johann Wolfgang von Goethe - Dichter, Denker und Forscher, dessen Werke die Welt bewegten. Johann Wolfgang von Goethe war ein Universalgenie, das in sich die Gaben des Dichters, Denkers und Forschers vereinte. Mit seinem literarischen Meisterwerk Faust schuf er ein Monument der Weltliteratur. Goethe reflektierte sein Leben lang über gesellschaftliche und politische Zustände, über Aspekte der Kunst und Fragen des Glaubens. Als Naturforscher bemühte er sich, Zusammenhänge der pflanzlichen und tierischen Metamorphose aufzudecken. Sein Amt als Staatsminister in Weimar verband ihn mit den Gegebenheiten des öffentlichen Lebens. Goethe gilt weithin als einer der großen Universalisten der neueren Zeit, der die Weimarer Klassik prägte und die literarischen Epochen Sturm und Drang sowie Klassik entscheidend mitgestaltete. Diese Biografie zeichnet das faszinierende Leben und Wirken Goethes nach und gewährt tiefe Einblicke in das Schaffen des bedeutendsten deutschen Dichters.

Peter Boerner wurde 1926 in Estland geboren. Er studierte an der Universität Frankfurt a. M. und am Europa-Kolleg in Brügge. Nach seiner Promotion war er Kustos des Goethe-Museums in Düsseldorf, dann Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der University of Wisconsin. Seit 1971 hatte er einen Lehrstuhl für deutsche Literatur an der Indiana University in Bloomington inne, wo er 2015 starb. Er veröffentlichte Studien über das literarische Tagebuch und die Faustsage sowie Aufsätze zur Rezeption der deutschen Literatur außerhalb Deutschlands, zum Problemkreis des Bildes vom anderen Land und zu den europäischen Amerika-Vorstellungen. Er war Herausgeber der Goethe-Ausgabe des Deutschen Taschenbuch Verlags, der «Gesammelten Schriften» Caroline Wolzogens und der «Historia von D. Johann Fausten».

Studienjahre


Mit sechzehn Jahren war Goethe für das akademische Studium vorbereitet. Hätte er seiner eigenen Neigung folgen dürfen, so wäre er nach Göttingen gegangen, um sich dort den Altertumswissenschaften zu widmen. Sein Vater bestand jedoch darauf, daß die Universität in Leipzig, die er selbst besucht hatte, gewählt wurde. Nach seinen Plänen sollte der Sohn die Rechte studieren, in Leipzig oder an einer zweiten Hochschule promovieren und einmal die Laufbahn eines Verwaltungsjuristen einschlagen.

Mit dem Gefühleines Gefangenen, der seine Ketten abgelöst hat[27], und mit einem ansehnlichen Jahreswechsel versehen traf Goethe am3. Oktober1765 in Leipzig ein. Die Messestadt, geprägt durch einekurz vergangene, von Handelstätigkeit, Wohlhabenheit, Reichtum zeugende Epoche[28] und ganz vom Geist des Rokoko erfüllt, beeindruckte den in reichsstädtischen Begrenzungen Aufgewachsenen. Er ließ sich von den neuen Einflüssen einfangen und wandelte sich zum Schöngeist, dergroße Figur[29] machte.

Auf die anfängliche Begeisterung folgten jedoch Enttäuschungen. Weder die Vorlesungen in der Jurisprudenz noch in den Schönen Wissenschaften konnten Goethe fesseln. Gellert, dessen Kolleg er voll Interesse entgegengesehen hatte, verlor die Achtung des Studenten nicht allein durch eine weinerliche Vortragsweise, sondern auch durch die Tatsache, daß er keines der damals jungen Talente, weder Klopstock noch Wieland oder Lessing, gelten ließ. Gottsched, ehemals der Praeceptor Germaniae, war durch seine Gefallsucht Ziel des öffentlichen Spotts geworden. Zu alledem mußte Goethe die Erfahrung machen, daß seine neuen Bekannten weder seine Parteinahme für den König von Preußen teilen noch seine eigenen Gedichte anerkennen wollten. In einem Brief an einen Frankfurter Freund zeichnete er ein poetisches Bild seiner Ernüchterung, indem er sich mit einem Wurm verglich, der sich zum Himmel aufschwingen möchte:

Da sah ich erst, daß mein erhabner Flug,

Wie er mir schien, nichts war als das Bemühn

Des Wurms im Staube, der den Adler sieht,

Zur Sonn sich schwingen und wie der hinauf

Sich sehnt. Er sträubt empor, und windet sich,

Und ängstlich spannt er alle Nerven an

Und bleibt am Staub. Doch schnell entsteht ein Wind,

Der hebt den Staub in Wirbeln auf, den Wurm

Erhebt er in den Wirbeln auch. Der glaubt

Sich groß, dem Adler gleich, und jauchzet schon

Im Taumel. Doch auf einmal zieht der Wind

Den Odem ein. Es sinkt der Staub hinab,

Mit ihm der Wurm. Jetzt kriecht er wie zuvor[30]

Beratung in seinen Unsicherheiten fand Goethe bei dem Hofmeister eines in Leipzig studierenden Grafen, Ernst Wolfgang Behrisch mit Namen. Dieser Mann, den er später einen derwunderlichsten Käuze, die es auf der Welt geben kann[31], nennen sollte, verstand es, immer wieder seineUnruhe und Ungeduld zu zähmen[32]. Dank eines sicheren Geschmacks wurde Behrisch zugleich der erste, der Goethes poetische Versuche kritisch beurteilte. Von dessen damals im Stile der Anakreontik verfaßten Gedichten ließ er nur wenige gelten, stellte diese aber in einer kalligraphischen Niederschrift, dem LiederbuchAnnette, zusammen und sorgte so für ihre Erhaltung. Neben Behrisch kamen Goethe besonders zwei Leipziger Künstler, Johann Michael Stock und Adam Friedrich Oeser, entgegen. Bei Stock nahm er Unterricht im Radieren und Kupferstechen, bei Oeser lernte er zeichnen. Oeser, der mit Winckelmann befreundet war, machte ihn mit den Kunstgesinnungen des Klassizismus bekannt und bemühte sich, ihm dasSchnörkel- und Muschelwesen[33] des Rokoko zu verleiden.

Schließlich brachte Leipzig dem Siebzehnjährigen die erste wirkliche Leidenschaft seines Lebens. In dem Schönkopfschen Weinhaus, wo er seit1766 seinen Mittagstisch hatte, wurde er mit der Tochter der Wirtsleute, Anna Katharina, genannt Käthchen,einem gar hübschen netten Mädchen[