Würde - Respekt - Ehre Werte als Schlüssel zum Verständnis anderer Kulturen
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Karin Schreiner
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Würde - Respekt - Ehre Werte als Schlüssel zum Verständnis anderer Kulturen
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Hogrefe AG
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9783456953137
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1
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CHF 14.90
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Angewandte Psychologie
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German
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208
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Wasserzeichen/DRM
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PC/MAC/eReader/Tablet
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PDF
Was hat die Ehre der Samurai mit Japanern von heute zu tun? Warum gibt es im Chinesischen 113 Begriffe für Scham? Weshalb hat ein Ja in Indien so viele Bedeutungen und gilt ein Nein als ausgesprochen unhöflich? Wer sich länger im Ausland aufhält oder mit Menschen aus fremden Kulturen zusammenarbeitet, der weiß, wie schnell wir als Mitteleuropäer an unsere Grenzen stoßen. Vielfach irritieren uns unverständliche Verhaltensweisen, oft können Verunsicherungen, Probleme und Spannungen entstehen. Doch hinter diesen so unterschiedlichen Verhaltensweisen stehen Werte, die die Grundlagen des sozialen Zusammenlebens darstellen. Wie können wir Begriffe wie Ehre, Würde, Respekt, Gesicht-Wahren, Harmoniestreben, vor ihrem kulturspezifischen Hintergrund besser verstehen? Karin Schreiner, Coach und Dozentin für Interkulturelle Kommunikation, erklärt Werte und Verhaltensweisen in verschiedensten Kulturen - in asiatischen Ländern wie China, Japan, Indien, in arabischen Kulturen, in Nord- und Zentralafrika, in der Türkei, im Nahen Osten, aber auch Südosteuropa. Angesichts einer globalisierten Welt, großer Migrationsbewegungen und stetig wachsender Arbeitsmobilität sind wir zunehmend mit kultureller Vielfalt konfrontiert. Wie lässt sich diese Vielfalt heute - und in Zukunft - leben? Anhand von zahlreichen Beispielen zeigt die Autorin eine neue Sicht auf das Gesellschaftsthema Werte und erklärt, wie wir interkulturelle Kompetenz - eine Schlüsselqualifikation in einer zukünftigen Welt - erwerben können.
Kulturen sind grundsätzlich dynamisch, veränderbar und ständig äußeren Einflüssen ausgesetzt. Meine Intention ist es jedoch, durch diese Sicht auf bestimmte Werte, mit denen wir in unserem kulturell vielfältigen gesellschaftlichen Alltag konfrontiert sind, das Verständnis zu erweitern, die Akzeptanz zu erhöhen, das Wissen über diese «Kulturen» zu vertiefen. Insofern befinde ich mich mit meinen Ausführungen an einem «Wendepunkt» – mein Blick auf traditionelle Werte soll das Verständnis für unsere kulturelle Vielfalt erleichtern, auch wenn diese Werte nur noch partiell oder in bestimmten Gruppen gelebt werden.
Interkulturalität und Transkulturalität
In den letzten Jahren hat sich der Kulturbegriff angesichts der immer stärker wahrgenommenen kulturellen Vielfalt in den Ländern verändert und dies hat sich natürlich in der theoretischen Diskussion niedergeschlagen. Man kam zu der Einsicht, dass Kulturen nicht statisch, rein und homogen sind und dass man deshalb schwer im Sinne von Nationalkulturen über «die Franzosen» oder «die Inder» sprechen kann, ohne Klischees zu verbreiten. Kulturen lassen sich nicht auf nationale Grenzen beschränken. Die immer wieder angesprochene kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaften verlangt einen anderen Blickwinkel. Heute spricht man deshalb von «kultureller Durchlässigkeit», «Hybridität», «Transkulturalität».19 Diese Begriffe zeigen, dass Kulturen in erster Linie nicht klar voneinander abzugrenzen, sondern vielmehr miteinander verflochten sind. Weltweite Migrationsbewegungen seit mehreren hundert Jahren, Flüchtlingsströme in Vergangenheit und Gegenwart, aber auch die Verschiffung der Sklaven aus Afrika nach Nordamerika im 19. Jahrhundert, die Internationalisierung von Unternehmen und damit einhergehende Expatriation im Zuge der Globalisierung im 20. Jahrhundert sowie die zunehmende Mobilität von Studierenden schlagen sich in einer immer deutlicher wahrnehmbaren kulturellen Verflechtung in den jeweiligen Nationalkulturen nieder.
Betroffen sind alle Bereiche: sämtliche Aspekte der Hochkultur wie etwa die sogenannte «Weltmusik», die Alltagskulturen – man denke an die Vielzahl kulturspezifischer Restaurants in allen Großstädten der Welt, aber auch Mode und Architektur –, Geschäftskulturen und unterschiedliche Umgangsformen, Sprachkulturen und neu aufkommende Sprachformen. Heute sind wir mit der kulturellen Verflechtung vor allem im Bildungsbereich und im Gesundheitswesen konfrontiert. Themen wie die Integration von Migranten oder Menschen mit «Migrationshintergrund» sind vor allem in Europa aktuell.
Die Verflechtung vollzieht sich jedoch nicht gleichmäßig. Manche Gruppen grenzen sich ab, bleiben eher unter sich, leben ihre eigenen traditionellen Werte, andere hingegen öffnen sich und lassen eine kulturelle Anpassung zu. Es zeigt sich immer deutlicher, dass bei diesen gesellschaftlichen Prozessen oft weniger kulturelle Aspekte im Vordergrund stehen, sondern vielmehr ökonomische, soziale, politische Gründe darauf Einfluss nehmen, wie sich die einzelnen Gruppen oder auch Einzelpersonen in der Mehrheitsgesellschaft positionieren.
Aktuelle Diskussion um Integration und kulturelle Anpassung
Kulturelle Anpassung vollzieht sich sehr unterschiedlich und sie hängt, wie erwähnt, von der jeweiligen sozialen Position, vom Bildungshintergrund, aber auch von einer persönlichen Disposition ab. Aber wie weit eine Gesellschaft kulturelle Pluralität positiv besetzt, hängt auch vom Machtverhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten ab.
Die weltweiten Migrationsbewegungen aus wirtschaftlichen und politischen Gründen bewirken eine konkrete Verunsicherung in den jeweiligen Nationalstaaten: die «Anderen» werden Teil von «uns», ethnische Abgrenzungen sind durchlässiger geworden, nationaler Wohlstand erfährt eine Bedrohung durch verstärkte Zuwanderung, kulturelle Identitäten sind nicht mehr eindeutig festzuschreiben, soziale Unterschiede verstärken sich und verschärfen die Fremdenfeindlichkeit, traditionelle Werte werden wieder hochgehalten, um sich voneinander abzugrenzen. Inmitten der Globalisierung der Welt treten Ängste auf. Staatsgrenzen werden wieder geschlossen, die «Anderen» erneut ausgegrenzt, das Eigene soll bewahrt werden, den Verflechtungen wird entgegengearbeitet.
Dennoch sind die Veränderungen nicht mehr rückgängig zu machen. Wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen. Interkulturalität und Transkulturalität sind Versuche, Antworten auf die zahlreichen Fragen im Umgang mit unseren Ängsten rund um die Thematik der kulturellen Pluralität unserer Welt zu geben.
Die soziologischen Veränderungen durch kulturelle Verflechtungen sind markant: kulturelle Entwurzelung durch Landflucht oder Arbeitsmigration, Berufstätigkeit im Ausland, Verschiebung der Bedeutung von Raum (Geburtsorte werden sekundär zum gewählten Lebensmittelpunkt), bikulturelle Paare, transkulturelle Identitäten, Mehrsprachigkeit, wobei die Muttersprache oft in den Hintergrund gedrängt wird, hohe Mobilität und Flexibilität, die eine Relativierung der Bedeutung von Ortsidentitäten mit sich bringt. Diese Veränderungen erfordern einen neuen Umgang miteinander, mit sich selbst, mit der Gesellschaft, in der man lebt.
In diesem Buch betrachte ich traditionelle Werte aus der Nähe, um die gegenwärtigen sozialen Veränderungen besser zu verstehen. Die Werte, die ich behandle, entspringen einer persönlichen Auswahl, erscheinen mir aber als zentral und für eine Einführung in diese Diskussion geeignet. Die Auswahl ist natürlich unvollständig und deckt nur einen Teil der vielfältigen Hintergründe für kulturelle Unterschiede ab.
Inhalt
6
Einleitung
8
Werte und Kulturen
12
Werte und ihr Konfliktpotenzial
12
Perspektivwechsel
16
Interdisziplinarität der interkulturellen Thematik
18
Das Konzept der Ehre
24
Soziale Rollen und Verpflichtung zur Ehre
28
Die Ehre der Samurai
43
Ehre in afrikanischen Ländern
46
Das Gefu¨hl der Scham
52
Schamangst
53
Scham als Kontrollinstrument
57
Gesicht-Wahren
60
Die verschiedenen Rollen des Ich
66
Verpflichtung zur Rollenerfu¨llung
71
Harmonie
76
Harmonie in konfuzianischen Ländern
77
Harmonie in Indien
83
Harmonie in afrikanischen Ländern
90
Familienstrukturen und Erziehungsmodelle
98
Familiärer Zusammenhalt
98
Gehorsam und Disziplin
103
Traditionelle Erziehung der Mädchen
107
Arrangierte Heirat
111
Bildung und Lernen
120
Innen und Außen: Der Umgang mit Räumen
128
Privatsphäre
128
Öffentlicher Raum
133
Frauenräume und Männerräume
136
Raum als Symbol fu¨r Distanz und Nähe
139
Mobilität als Lebensform: Roma und Sinti
142
Zeitvorstellungen
146
Zeitstrukturierungen
146
Soziale Zeit
150
Interkulturelle Kompetenz als Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit
158
Aspekte interkultureller Kompetenz
158
Kommunikation
159
Sprache, Denken, Wirklichkeit
166
Kollektives Gedächtnis
168
Beziehungsorientiertheit und Sozialkompetenz
170
Aufbau von Wissen und Zugang zu anderen Denkweisen
173
Aufbau von interkultureller Handlungskompetenz
174
Schlussbetrachtungen
180
Anmerkungen
186
Literaturverzeichnis
200