2. Kapitel
Woody Allen:
Der Mensch besteht aus zwei Teilen– seinem Gehirn und seinem Körper. Aber der Körper hat mehr Spaß.
Die große Uhr am Bahnhof zeigte 10:45 Uhr. Wie ein unruhiger Tiger lief Lars auf dem Bahnsteig auf und ab. Nachdem er gestern einen etwas angespannten Tag mit Phil verbracht hatte, war ihm der spontane Gedanke gekommen, ebenfalls am Bahnhof aufzuschlagen. Er war am Vortag mit Phil einkaufen gewesen und hatte sich verzweifelt bemüht, seinen Freund wenigstens für wenige Minuten von den Gedanken an seine Mutter abzulenken. Trotzdem wurde Phil immer hibbeliger und panischer, bis er Lars sogar anschrie und sich gleich darauf völlig am Boden zerstört für seinen Ausbruch entschuldigte. Lars hatte keine Ahnung, wie Phil reagieren würde, wenn er ihn hier entdeckte. Doch das würde er sicherlich gleich herausfinden, denn Phil kam soeben auf den Bahnsteig gehetzt. Erleichterung machte sich auf dem sonnengebräunten, sommersprossigen Gesicht breit, als er feststellte, dass der Zug noch nicht eingelaufen war. Plötzlich entdeckte er Lars. Phils Schritt stockte. Einen Augenblick lang zeigte sich Panik in seiner Miene, schließlich eilte er auf Lars zu.
„Was machst du denn hier?“, zischte er anstelle einer Begrüßung.
„Ich dachte, ich könnte mit den Koffern helfen“, antwortete Lars. Er hätte Phil gerne solange geküsst, bis der sich einigermaßen beruhigt hatte. Angesichts der vielen Leute hier auf dem Bahnhof erschien ihm das als keine besonders gute Idee.
„Ich bin mit dem Auto hier. Lars, bitte geh“, flehte Phil.„Wenn meine Mutter uns zusammen sieht und herausfindet, dass wir… Oh, ich mag gar nicht daran denken. Sie wird einen Weinkrampf bekommen oder schlimmer, einen Herzinfarkt. Ihre Nerven sind ohnehin nicht die besten. Und dann bin ich schuld, dass es ihr schlecht geht…“ Sein Blick huschte an Lars vorbei. Der gefürchtete Zug näherte sich.
„Phil, beruhige dich. Stell mich einfach als einen guten Freund vor. Okay?“
„Sie wird dahinter kommen. Sie wird mir ansehen, dass ich dich liebe. Und das, wo sie mir meine Zukünftige vorstellen will. Es wird ihre wunderbaren Pläneüber den Haufen werfen. Dabei will sie nur das Beste für mich und ich undankbarer…“ Phils aufgeregte Tirade ging in dem Kreischen der Bremsen unter. Lars verstand nur etwas von Scheißidee, nichts-erspart-bleiben und Katastrophe. Als sich die Türen des Zugesöffneten, wurde Phils Gesicht geisterhaft bleich.
„Phil? Geht es dir nicht gut?“ Lars begann sich allmählich Sorgen zu machen. Sein Freund war wie ausgewechselt und ein totales Nervenbündel.
„Mir geht es beschissen. Da drüben ist sie.“ Wie ein zu Tode Verurteilter ging Phil schweren Schrittes auf eine schwarz gekleidete Matrone zu, die einen altmodischen Koffer auf dem Bahnsteig abstellte und… Lars klappte die Kinnlade herunter, als er sah, wie Phils Braut– falls sich Mutti durchsetzte– den Zug verließ. Sie erreichte beinahe seine Größe, hatte wirres, lockiges Haar und eine Brille mit den dicksten Gläsern, die er je gesehen hatte. Ihre Schultern konnten locker mit den seinen mithalten. So wie sie ausschaute, war sie erst gestern mit einem Traktorüber die Felder gebrettert und hatte vor dem Schlafengehen auf die Schnelle ein paar Rinder gestemmt.
„Oh shit, Phil!“, stöhnte er mitleidig und lief hinter seinem Freund her, der gerade mit steifer Höflichkeit seine Mutter und seine Zukünftige begrüßte.
„Das ist Annemarie“, stellte Mutti in diesem Moment den Trampel vor, der Phil neugierig durch die zentimeterdicken Brillengläser anschaute.
„Ich freue mich, dich endlich kennenzulernen“, kiekste sie mit einer Mäusestimme.
„Ich freue mich auch“, murmelte Phil. Seinem Gesicht nach allerdings auf die Abreise der beiden Damen.
„Und wen haben wir da?“ Dem energischen Tonfall nach hatte Mutti auf einem Kasernenhof gedient. Tapfer streckte ihr Lars die Hand entgegen und richtete dabei den Blick auf einen hölzernen Anhänger, den Mutti um den Hals trug. Ein schlichtes Kreuz war hinein geprägt worden. Annemarie trug den gleichen Anhänger, wie Lars feststellte.
„Lars Erlen. Guten