Sprachliche Kommunikation ist Grundlage jeder Gesellschaft. Die Möglichkeit, mittels Sprache Gedanken und Gefühle auszudrücken, gehört zu den wichtigsten geistigen und sozialen Fähigkeiten des Menschen. Alle wesentlichen sozialen Interaktionen, Strukturen und Institutionen basieren auf sprachlichen Prozessen. SprachlicheÄußerungen vermitteln allgemeine und individuelle Kenntnisse, speichern kollektives Wissen, ermöglichen komplexe Denkprozesse, Gedankenaustausch und Bezugnahme auf die Welt. Die Sprache ist in einer Gemeinschaft das bei allen individuellen Unterschieden und subjektiven Ausrichtungen menschlicher Existenzen von allen gemeinsam benutzte,überindividuell verstandene Kenntnis- und Kodierungssystem. Sowohl im privaten wie auch im sozialen Leben wäre ein Miteinander ohne Sprache nicht vorstellbar.
Wenn wir uns mit der Sprache beschäftigen, stellen wir Fragen nach uns selbst, unserem Geist, unseren Fähigkeiten, unserer Wesensart, unserer Interaktion mit anderen Menschen, unserer Onto- und Phylogenese.
Sprache ist somit immer ein Fenster zur Welt, weil wir durch Sprache etwasüber dieäußere Realität erfahren. Sprache ist zugleich eine Straße in den Geist, da sprachlicheÄußerungen immer auch Einblick in Denk- und Meinungsprozesse, Einstellungen oder Motive geben– sie sind also Spuren unserer kognitiven Aktivität.
Die Beschäftigung mit der Sprache hat eine lange Tradition. Wenngleich es die Sprachwissenschaft als Disziplin erst seit ca. einhundert Jahren gibt, haben sich Philosophen und Dichter seit der Antikeüber die Jahrhunderte hinweg mit Sprache beschäftigt, so z. B. Platon in seinem sprachphilosophischen Dialog»Kratylos«. Sprachliche Fähigkeiten sind heute Gegenstand der modernen Sprachwissenschaft (Linguistik), die als wissenschaftliche Disziplin die Struktur, die Repräsentation, den Erwerb und die Verwendung von Sprache untersucht. Dabei wird die Sprache aus kognitiver Perspektive als ein Kenntnis- und Regelsystem verstanden, das in unserem Gedächtnis mental und in unserem Gehirn neuronal gespeichert ist. Der Begriff Sprache hat (auch als Untersuchungsgegenstand der Sprachwissenschaft) die folgenden Auslegungsmöglichkeiten:
• Sprache als allgemeine menschliche Fähigkeit (vgl.Der Mensch unterscheidet sich vom Tier durch die Sprache.),
• Sprache als spezifisches Kenntnis- und Regelsystem einer Gesellschaft (vgl.Im Seminar beschäftigen wir uns mit der deutschen Sprache.),
• Sprache als individuelle Fähigkeit eines Menschen, zu sprechen und zu verstehen (vgl.Herr Müller hat durch einen Schlaganfall seine Sprache verloren.),
• Sprache als konkrete Anwendungsvariante (vgl.Was ist das für eine klare Sprache in diesem Aufsatz!).
Je nach linguistischem Ansatz (beispielsweise Angewandte oder Theoretische Linguistik) steht die eine oder andere Variante im Vordergrund des Forschungsinteresses. Hinsichtlich der wissenschaftlichen Beschreibung, was Sprache genau ist, ergeben sich die folgenden Charakteristika: Sprache ist natürlich. Sie ist das Ergebnis einer historischen Entwicklung und eine evolutionäre Errungenschaft. Phylogenetisch betrachtet ist die Sprachfähigkeit relativ jung: Man vermutet, dass sie sich aufgrund spezifischer Gehirnentwicklung (u. a. Volumenzuwachs und neuronale Vernetzung) vor ca. 150 000 Jahren ausprägte. Da nur die Spezies Menschüber Sprache bzw.über das Sprachlernvermögen verfügt, ist Sprache humanspezifisch. Tiere können zwar kommunizieren, erreichen jedoch nie die Fähigkeiten des sprachbegabten Menschen. Sprachfähigkeit gehört zum Genom der Spezies Mensch, d. h., ihr Entwicklungspotential ist angeboren. Alle Menschen, unabhängig von ihrer Ethnie, ihrer Kultur, besitzen die Fähigkeit, eine oder mehrere Sprachen zu erwerben.
In seiner wichtigen Arbeit zum Ursprung der Sprache nennt Hockett (1960, 1966) als die wichtigsten Merkmale, die die menschliche Sprache von der Tierkommunikation unterscheiden, insbesondere die Raum-Zeit-Unabhängigkeit und die Produktivität. So können wir auf Entitäten referieren, die imaginiert sind, z. B. den Osterhasen, die gar nicht wahrnehmbar (Abstrakta) oder nicht unmittelbar in der Sprechsituation präsent sind. Sprache ermöglicht es uns, auf Ereignisse in der Vergangenheit oder Zukunft zu referieren (Raum-Zeit-Unabhängigkeit). Sprecher können kreativ Sätze produzieren, die ein Hörer noch nie zuvor gehört hat und trotzdem verstehen kann (Produktivität). Dies entspricht auch dem Kompetenz-Begriff der Generativen Grammatiktheorie (vgl. Grewendorf, Hamm& Sternefeld, 1999), wonach aus einer finiten Regelmenge eine infini