Zweites KapitelRuth
Noch am selben Tag, an dem wir unter unserem Haus auf die Überreste gestoßen waren, kam die Polizei aus Tarbert zu uns. Sie parkten mit mehreren Fahrzeugen direkt auf der Wiese vor dem Haus und rissen schlammige Reifenspuren in die grüne Grasnarbe.
Als ich die Polizisten durchs Küchenfenster beobachtete, war ich plötzlich zurück: ein kleines Kind, alleine am Kanal, versteckt hinter dem Einsatzfahrzeug, während die Beamten sich damit abmühten, etwas aus dem Wasser zu ziehen. Mir war schwindlig, und mir stockte der Atem, als ich plötzlich erneut vor Augen hatte, wie der aufgedunsene Körper aus dem Wasser geborgen wurde.
Übelkeit überkam mich, und ich musste nach dem Küchenstuhl greifen. Ich senkte den Kopf und konzentrierte mich auf meinen Atem. Irgendwann richtete ich mich wieder auf und sah mich in der Küche um.
Michael ging hinaus, um die Polizisten zu begrüßen, und ich überließ es ihm. Ich versuchte, mich auf das Offensichtliche zu konzentrieren, und räumte das Frühstücksgeschirr weg, aber ich konnte nicht aufhören zu zittern.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter und fuhr zusammen.
«Alles in Ordnung?», fragte Michael.
«Es ist nur so kalt hier, wenn sie ständig rein- und rauslaufen.»
«Ich sage ihnen, sie sollen die Haustüre zumachen.»
Den übrigen Vormittag warf Michael mir, wann immer er ins Zimmer kam, einen besorgten Blick von der Seite zu.
Natürlich weiß Michael über meine Vergangenheit Bescheid. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht. Gleich am ersten Tag, an dem wir uns begegneten, habe ich es ihm erzählt: dass ich im Kinderheim aufgewachsen bin. Nachdem Mum gestorben war. Nachdem sie sich ertränkt hatte.
Er weiß es, und gleichzeitig weiß er nichts. Es gibt so viele Dinge über jene Jahre, die ich ihm niemals erzählen werde. Die ich nicht einmal mehr mir selbst erzähle.
Ich zog mir einen alten Pullover über, den Michael an der Küchentür hatte hängen lassen, und umklammerte mit meinen verfrorenen Händen eine Tasse Tee. Ich hörte sie rein- und raustrampeln, laute Stimmen, Türenknallen.
Ich trat hinaus in die Eingangshalle und sah die braunen, von den Stiefeln ins Haus getragenen Schlammspuren. Sie ruinierten den neuen Dielenboden, noch bevor wir Gelegenheit gehabt hatten, ihn richtig zu versiegeln. Aus dem Meereszimmer war zu hören, wie sich die Polizisten noch tiefer ins Erdreich gruben. Zitternd vor Zorn ging ich in die Küche zurück und schloss die Tür.
«Ich fürchte, es dauert mindestens noch zwei Tage, bis die Forensiker aus Inverness eintreffen», sagte Sergeant MacAllister und betrat die Küche, wohin Michael und ich uns verzogen hatten, um zu Mittag zu essen, so, als wäre alles ganz normal. «Es wäre vielleicht besser, wenn Sie für ein paar Tage ausziehen, bis wir die Überreste abtransportieren können.»
Der Wohnwagen fühlte sich klamm und unbewohnt an. Es roch wie in einer alten Keksdose. Außerdem war es trotz des Petroleumofens eiskalt. Alles, was ich anfasste, saugte mir die Wärme aus der Haut.
Der Tag war vergeudet. Ich goss Formaldehyd in die Schale mit dem Eidechsenpräparat und schob sie ins unterste Fach des winzigen Kühlschranks.
«Unfassbar, dass wir von dem Ding aus unserem eigenen Haus vertrieben werden!», sagte ich zu Michael, als wir in dem engen Bett lagen.
«Sie kommen es bald holen, und mit der Zeit werden wir ver