Auf der Suche nach Jared Leto
Wer ist dieser Jared Leto und was hat ihn auf die höchste Stufe am Ende des roten Teppichs in Cannes gebracht? Sind die wenigen zugänglichen biografischen Daten aus den ersten zwanzig Jahren seines Lebens hilfreich bei der Suche nach dem Menschen Jared Joseph Leto? Müsste nicht rein theoretisch sein Geburtsname sogar ein anderer sein, wo doch Bruder Shannon und er, 1970 und 1971 geboren, einen leiblichen Vater namens Tony haben, der Mutter Constance bald nach der Geburt des zweitenSohnes verließ, um eine andere Frau zu heiraten, und nicht allzu balddarauf verstarb. Denn erst dann heiratet Mutter Constance Carl Leto, der die beiden Jungs adoptiert und sich wenige Jahre später auch scheiden lässt und aus dem Staub macht. Gehen wir von der geografischen Richtigkeit seines Geburtsortes aus, dann war es am 26. Dezember 1971 Bossier City in Louisiana, wo auch Bruder Shannon bereits am 9. März 1970 auf die Welt gekommen war. Bossier City spielte seither nirgendwo und nie wieder eine Rolle außer in einem gleichnamigen Song von David Allan Coe, einem Vertreter der Outlaw-Country-Szene.
«And it sure smells like snow in Bossier City
But there ain’t no weather quite as cold as you
I’d sooner stand in Mother Nature’s anger
Than to spend another lonely night with you», singt Coe wenig erhellend.
Jared hat keinen Bezug zu seinem Geburtsort, außer vielleicht, dass er ihn später desÖfteren in Formularen eintragen muss, denn bald schon beginnt ein Vagabundenleben mit seinem Bruder und seiner Mutter, ein stetes Umziehen, das ihn nach Colorado, Virginia, Wyoming, New York, Kalifornien, Florida, Pennsylvania, Massachusetts, Washington D. C. und mit zwölf sogar für ein Jahr nach Haiti bringt.
«Wir sind eintausend Mal umgezogen, ich warüberall und nirgends zuhause und nie lange am selben Ort.» Darin liegt Jareds Schwierigkeit begründet, Freunde zu finden:«Es dauert lange, bis ich mich jemandemöffne. Und Ewigkeiten, bis ich jemandem so sehr vertraue, dass ich ihn als Freund bezeichnen würde.» Für das Vertrauen in andere Menschen hat das Nomadenleben der Letos eine ungünstige Voraussetzung geschaffen, aber es gibt auch einen positiven Effekt:«Ich lerne leicht Leute kennen, nur mich auf andere einzulassen fällt mir schwer.» Das scheint nur allzu logisch. Weil Jared als Kind selten die Gelegenheit bekommt, mit seiner Umgebung warm zu werden, entwickelt er sehr schnell die Fähigkeit, auf andere zuzugehen und Kontakte zu knüpfen. Die Erfahrung lehrt ihn rasch, dass er schlicht nicht die Zeit hat zu warten, bis sich die Dinge von allein entwickeln. Er muss aktiv werden, die Dinge selbst in die Hand nehmen und vorantreiben. Dieser Umstand mag häufig schmerzhaft und deprimierend gewesen sein, doch Jared lernt daraus und wird später viel Gewinn daraus ziehen. Denn sowohl im Rock’n’ Roll-Zirkus als auch in der Welt Hollywoodsöffnen ihm eine niedrige Kontaktschwelle und ein offenes Auftreten jede Menge Türen. Türen, die einem introvertierten Menschen verschlossen blieben und so manche Chance verbauen würden. Dies gilt erst recht, wenn man ein Newbie, also neu in einer Szene oder einem Geschäft ist. Jared lernt rasch und macht aus vermeintlichen Hürden Sprungbretter für sein Leben und seine berufliche Entwicklung.
Viele Interviewpartner haben versucht, Jared Letos Kindheit zu ergründen,aber es fiel Jared immer schwer, einen Rückblick auf diese Zeit zu geben. Nur selten ist er bereit,über seine Jugend zu sprechen und tiefer gehende Auskünfte zu erteilen. Weil er ungernüber sein Privatleben redet, legt er sich schnell eine Linie zurecht, die nur wenige Details offenbart.
Jareds Mutter war eine Künstlerin mit variierenden Vorlieben. Sie pflegte den unkonventionellen Lebensstil der Boheme, zog ständig um, lebtestreckenweise in Kommunen, tat all das, was frei denkende Menschen inden 70er Jahren für sich entdeckten. Dass sie dabei nie wirklich Geld hatte,spielte eine untergeordnete Rolle, denn der Glaube an das Kreative war stärker. Sie hält ihre Söhne Shannon und Jared an, zu malen und zu singen, und gibt damit, neben dem Nomadentum, einen wichtigen Weg für Jareds späteres Leben vor. Denn im Gegensatz zu Jared mussten sich viele seiner Kollegen gegen die konventionellen, traditionell begründeten, ganz gewöhnlichen konservativen Berufsvorstellungen der Eltern erst einmaldurchsetzen. Niemand weiß, wie viele kreative Talente an der Supermarktkasse, im Friseursalon, am Sacharbeiterschreibtisch, in der Behörde, beim Finanzamt, in Versicherungskonzernen oder an der Börse gelandet sind,weil sie sich nicht gegen die Vorstellungen der Familie behaupten konntenund somit zwangsläufig dem elterlichen Rat gefolgt sind. Bei den Letos ist das Gegenteil der Fall, der Pfad zur künstlerischen Entfaltung wurde den beiden Söhnen bereitwillig geebnet, ja, er wurde ihnen sogar nahegelegt. Shannon interessiert sich für das Visuelle. Er greift wie Mutter Con