Johannes R. Becher
Abschiedsmusik*
[I]
In Ungeduld hörte ich Hartinger zu, der berichtete, dass in der ganzen Welt die Arbeiter gegen den Krieg demonstrierten.
»Der Krieg ist diesmal an uns vorübergegangen«, meinte selbstbewusst Hartinger, und ich holte den Baedeker, um eine schöne Sommerfahrt zu besprechen. Wir wollten diesmal an den Gardasee. Hartinger zog mit seinem Finger die Strecke: Innsbruck, der Vorarlbergbahn entlang bis nach Landeck,Ötztal, Bozen, Meran, Rivoli– oder: Innsbruck,über den Brenner, Trient. Hartingers Finger deutete auf den Gardasee, während ich aus der beigedruckten Reisebeschreibung vorlas:»Das Wasser ist meist tiefblau.«
»Wisst ihr was?«, rief Mops von der Straße herauf,»vor der Kaserne in der Türkenstraße stehen welche in Feldgrau …«
»Feldgrau?«, schrak Hartinger hoch.
»Feldgrau, na endlich …«, entfuhr es mir.
»Will mich freiwillig melden …!«, rief Mops wieder und wartete unten.
»Das Wasser ist meist tiefblau«, ließ ich offen den Baedeker liegen.
Vor der breiten Toreinfahrt der Türkenkaserne standen Soldaten des Infanterie-Leibregiments in den neuen feldgrauen Uniformen.
»Was gibt’s?«, trat Hartinger auf einen der Soldaten zu.
»Nichts. Was soll’s geben? Krieg gibt’s«, lachte der gemütlich und unterhielt sich weiter mit seinem Kameraden.
Auf dem Kasernenhof erschollen Kommandos, der Posten präsentierte, und eine Abteilung, geführt von einem Leutnant, schwenkte in die Türkenstraße ein.
Die kleine marschierende Gruppe war bald von Neugierigen eingeschlossen, ab und zu unterbrach das dahinschreitende Schweigen ein energischer Trommelschlag.
»Jetzt verkünden s’ den Kriegszustand«, schnaubte ein Dicker hinter mir.
Einige teilten Neuigkeiten mit:»Zwei serbische Spione, als Nonnen verkleidet, ham s’ derwischt in Oberwiesenfeld … Die Brunnen ham s’ wollen vergiften, die Bande, die miserablige …Über Nürnberg waren s’ im Flugzeug … Jaja, die Kosaken san schon in Ostpreußen und massakrieren Weiber, Kinder und alte Leut …«
Unerwartet wandte sich Mops gegen uns beide.
»Jetzt ist er da, der große Zusammenschluss … Jetzt werden wir alleein Volk … Ich melde mich freiwillig …«
Von einem Trommelwirbel eingeleitet, verkündete der Leutnant die Verhängung des Kriegszustandes. Einige nahmen zögernd die Hüte ab. Alle blieben auf dem Platz stehen, wie festgebannt, als die Abteilung in die Kaserne zurückmarschierte.
Unter klingendem Spiel zog durch die Brienner Straße die Wache auf. Ein mächtiges»Hurra!« dröhnteüber den Platz hin. Die Musik spielte die»Wacht am Rhein«. Mops warf den Kopf zurück und sang, sang. Als ich ihn anrührte:»Komm!«, sah erüber mich hinweg.»Mit euch red ichüberhaupt nicht mehr … Euch ist nichts heilig …« Der Gesang hob ihn weit ab von uns, etwas Undurchdringliches hatte sich um Mops gelegt, dass er empfindungslos wurde gegen alles, was wir vorbrachten.»Ja, das ist doch alles ganz anders … so hör doch …«, versuchte ich es noch einmal, Mops schob meinen Arm fort.»Lass doch! Schau,’s hat keinen Sinn mehr … Wir verstehen uns halt nicht mehr …«
Auf einzelnen Gebäuden wehten schon die Fahnen. Menschen schlossen sich zusammen, riefen»Hoch!« und»Hurra!«. Autos, in denen Offiziere vorüberfuhren, wurden mit Winken und Hüteschwenken begrüßt; ein altes Weiblein humpelte auf einen der Offiziere zu, der an einer Trambahnhaltestelle wartete, und küsste ihm die Hand.
Viele, die uns entgegenkamen, hatten einen beschwingten Gang.»Was gibt’s Neues?«, sprachen Fremde einander auf der Straße an und sagten sich du. Der Krieg schien alle einander näherzubringen.
»Jetzt ist er da, der Krieg!«, frohlockte ein Friseurgehilfe zum ersten Stock hinauf, auf dem Balkon wurde eine schwarz-weiß-rote Fahne entrollt.»Na endlich!« Die Straßenbahnen fuhren mit Fähnchen geschmückt.
»Die Begeisterung ist doch schön«, sagte ich unsicher zu Hartinger.
»Freilich ist Begeisterung schön, aber ich kann es beim besten Willen nicht schön finden, wenn ein deutscher und ein französischer Arbeiter sich gegenseitig abschlachten, um mit ihrem Heldentod das Leben anderer zu verschönern. Schön ist anders.«
Das war mit einem Hass gesagt, um den ich Hartinger beneidete.
»Na, ihr Kriegsgegner«, empfing uns in heiterer Stimmung der alte Hartinger. Auf dem Tisch lag feldgraues Tuch, mit Kreidestrichen versehen zum Zuschneiden ausgebreitet. Zwei neue feldgraue Uniformen hingen am Kleiderständer. Hartingers Mutter saß an der Nähmaschine.»Einen Haufen Arbeit, was, muss mich noch heut nach einem zweiten Gesellen umsehen … Wie wär’s, wir probierten mal die neue Montur an …«
Er ließ sich durch unser Schweigen nicht stören und schwatzte munter fort:»Ja, mei, jetzt ist halt eben der Krieg da, und nun müssen wir uns umstellen … Wenn die Unsern nicht ganz gottverlassen sind, dann geben s’ jetzt a Ruh und tun mit. Haben den Krieg eh net verhindern können. Ich hätt nix dagegen, wenn sie mich einziehen würden, da käm man auch mal a bissl raus aus dem alten Schlendrian und würd auch mal was von der Welt sehen. Seit meiner Wanderschaft– bald zwanzig Jahr sind’s her– hock ich nur allweil auf dem Tisch hier rum– gelt, Alte, hättest auch nix dagegen …«
»Ja, wenn ihr beide weg wärt, ihr Mannsleut, da braucht’ man sich nicht mehr so abzurackern …«
»Na, warten wir mal ab, was die Führer sagen, ich mein, die können gegen den Krieg auch nicht aufkommen. Sonst geht’s denen akkurat wie dem Jaurès: piff, paff …« Er hob dazu die Hand, als drücke er noch einmal die Pistole ab …»Hab ich es nicht immer gesagt …«
Er pfiff die»Wacht am Rhein« und klapperte dazu mit der Schere.
Es war dunkel draußen auf dem Gang. Hartinger schien sich in der eigenen Wohnung nicht mehr auszukennen. Ich gab ihm die Hand.»Komm, stoß dich nicht!« Fand im Dunkel auch richtig die Gangtür und führte ihn auf die Treppe. Unten auf der Stra&szli