2
McKenna beeilte sich, um sich vor dem zweiten Reiter in Sicherheit zu bringen. Aber im Gegensatz zu dem ersten Mann lenkte dieser Reiter sein Pferd scharf nach links, um ihr auszuweichen. Dabei flogen kleine Steinchen durch die Luft. In einer einzigen, fließenden Bewegung schob er seinen langen, schwarzen Mantel beiseite und nahm das Gewehr, das an seinem Sattel hing, bevor er durch eine Gasse preschte.
McKenna starrte in die Richtung, in der er verschwunden war, und fühlte ein unangenehmes Pochen in ihrer linken Hand. Als sie genauer hinsah, stellte sie fest, dass ihre linke Handfläche aus einer kleinen Wunde unterhalb ihres Daumens blutete. Wie konnte eine so kleine Wunde so stark bluten? Aber der Schnitt ging tief. Sie verzog vor Schmerzen das Gesicht und fuhr mit der Hand in ihre Handtasche, um ihr Taschentuch…
Ein Schuss ertönte. Sie zuckte zusammen.
Der Knall des Gewehrs hallte von den Bergen wider.
Sie hielt inne und wartete mit laut hämmerndem Puls. Mehrere Sekunden verstrichen, doch es war kein weiterer Schuss mehr zu hören.
Sie drückte das Taschentuch fest auf ihre Wunde und unterband damit den Blutfluss. Dann wickelte sie sich das elegante Taschentuch mit Spitzenrand um die Hand. Die Initialen ihrer Mutter, die in den elfenbeinfarbenen Stoff gestickt waren, nahmen schnell ein dunkles Rot an. Zwei Dinge wusste sie mit Bestimmtheit: Die Wunde musste genäht werden, damit sie gut verheilte. Und die Blutflecken ließen sich nie wieder aus dem kostbaren Erbstück herauswaschen.
Sie hörte Schritte auf dem Bürgersteig und blickte auf. Erst jetzt merkte sie, dass aus den umliegenden Geschäften und Gebäuden viele Menschen auf den Bürgersteig strömten. Sie sahen sich in beiden Richtungen auf der Straße um. Ein Geräusch lenkte McKennas Blick nach oben.
Eine zierliche Frau, deren dunkle Haare glatt aus ihrem Gesicht nach hinten gezogen und in ihrem Nacken zu einem Knoten zusammengebunden waren, stand auf dem Bürgersteig und lehnte sich zu ihr herunter.„Sie verletzt, Miss?“ Dünne, schwarze Augenbrauen zogen sich hinter einem kerzengeraden, schwarzglänzenden Pony zusammen.
Ihre mandelförmigen Augen waren dunkel und forschend. Als McKenna in ihre Augen sah, war ihr erster Gedanke, dass diese Frau wusste, was Schmerzen bedeuteten.
Die Frau deutete auf ihre Hand.„Sie verletzt!“ Die Betonung in ihrer leisen Stimmeänderte sich. Sie stand auf und drehte sich um. Mit winzigen Schritten verschwand sie durch eine Ladentür und kam wenige Sekunden später mit einem sauberen Tuch in der Hand zurück.
McKenna fiel unwillkürlich der anmutige Gang dieser Frau auf. Und ihre Schuhe: blaue Slipper aus bestickter Seide. Kunstvoll. So klein. Und so spitz.
Wortlos bückte sich die Frau und griff nach ihrer Hand. Mit Bewegungen, die viel Erfahrung verrieten, entfernte sie sanft das Taschentuch und umwickelte die verwundete Stelle mit dem frischen Tuch. Sie legte den Stoff mit geübter Hand wie ein Arzt zwischen McKennas Daumen und Zeigefinger und dann um ihr Handgelenk.
Dankbar schaute McKenna zu.
Zart war die beste Beschreibung für diese Frau, undanmutig. Als sich die Frau nach unten beugte, um das Ende des weichen Stoffes mit ihren weißen Zähnen abzureißen, roch McKenna etwas Angenehmes in ihren schwarzen Haaren. Ihre schlanken Finger arbeiteten schnell und banden die zwei Enden des provisorischen Verbands zu einem lockeren Knoten zusammen. Dann lächelte sie und sagte etwas in einer Sprache, die McKenna nicht verstand.
Als werde ihr bewusst, was sie gerade getan hatte, beugte die Frau schnell den Kopf und kniff die Augen zusammen, als suche sie nach den richtigen Worten.„Besser… jetzt?“
McKenna warf einen Blick auf den Verband.„Ja, viel besser jetzt… danke.“ Sie versuchte, ihre Schulter zu bewegen, und verzog das Gesicht. Die Schulter war nicht ausgerenkt. Dank einesübermütigen Hengstes vor ein paar Jahren wusste sie, wie sich eine ausgerenkte Schulter an