: Irene Hannon
: Im Fadenkreuz des Zweifels
: Francke-Buch
: 9783868279368
: 1
: CHF 9.70
:
: Spannung
: German
: 100
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
FBI-Agent Mark Sanders hat seinen letzten Einsatz vermasselt. Damit Gras über die Angelegenheit wachsen kann, wird er nach St. Louis versetzt. Dort steht eines Tages überraschend seine Jugendliebe Emily vor ihm. Mark kann sein Glück kaum fassen, doch ihr freudiges Wiedersehen findet ein jähes Ende. Sie werden von einem Heckenschützen ins Visier genommen. Dabei wird die Psychologin Emily verletzt. Mark ist zutiefst erschüttert. Er weiß, er muss den Täter finden, bevor er wieder zuschlägt. Doch was ist sein Motiv - und wer von ihnen sein eigentliches Ziel? Der ganze Fall ist mehr als undurchsichtig. Klar ist Mark nur eins: Er muss Emily beschützen und hinter die Identität des Schützen kommen, bevor es zu spät ist.

Irene Hannon studierte Psychologie und Journalistik. Sie kündigte ihren Job bei einem Weltunternehmen, um sich dem Schreiben zu widmen. In ihrer Freizeit spielt sie in Gemeindemusicals mit und unternimmt Reisen. Die Bestsellerautorin lebt mit ihrem Mann in Missouri.

Kapitel 1

Sein Opfer hatte sich verspätet.

Sehr verspätet.

Der Mann schirmte die Augen ab und suchte mit seinen Blicken den verlassenen Joggingpfad ab. Dann verlagerte er das Gewehr in seinem Arm. Er konnte nicht mehr lange bleiben, wenn er nicht entdeckt werden wollte. In den vergangenen zwei Stunden hatte er schon zu viele Jogger und Leute mit Hunden gesehen, trotz der drückenden Augusthitze. Aber keiner von ihnen war bis jetzt in die Nähe seines Verstecks im Wald am Rande des Parks gekommen.

Nachdem er die Gewohnheiten seines Opfers studiert hatte, hatte er Zeit und Ort mit Sorgfalt ausgewählt. Und in Gedanken hatte er die Situation ein Dutzend Mal durchgespielt. Auf den abgelegenen Parkplatz hinter der First Congregational Church von St. Louis fahren, die an diesem schwülen Samstag leer war. Das Auto am hinteren Ende des Platzes abstellen, gleich neben dem Waldstück, das das Kirchengrundstück vom Park trennte. Sich durchs dichte Unterholz schlagen. Auf sein Opfer warten. Schießen. Zum Auto zurückgehen, das Gewehr wieder in die Packung des Rasentrimmers auf dem Rücksitz schieben. Nach Hause fahren. Die Waffe entsorgen.

Er strichüber den glänzenden Stahllauf und hatte einen schalen Geschmack des Bedauerns im Mund. Er hasste den Gedanken, sein Lieblingsjagdgewehr zu vernichten. Aber es zu behalten, wenn seine Arbeit getan war, wäre zu gefährlich. Sein einziger Trost war, dass die Waffe ihre letzte Aufgabe im Dienste Gottes erfüllte.

Er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein, hob den Arm und wischte sich mit demÄrmel seines dunkelgrünen Hemdes den Schweiß von der Stirn. Dann wandte er den Kopf um und blickte zu dem leeren Parkplatz der Kirche hinüber, der durch das Unterholz unter den Bäumen kaum zu sehen war. Er hatte sich das Gotteshaus nicht bewusst als Bühne für seine Tat ausgesucht, aber es passte. Denn er war hier, um eine Anweisung aus dem Buch der Bücher zu befolgen. Es galt Auge um Auge.

Und wenn sein Opfer heute nicht erschien… dann würde er eine andere Gelegenheit finden, um seinen Auftrag auszuführen.

Zehn Minuten später war er gerade dabei, sein Vorhaben aufzugeben und zum Auto zurückzugehen, als seine Geduld doch noch belohnt wurde. Er spürte einen Adrenalinstoß, als sein Opfer in der Ferne auftauchte. Er wischte sich die feuchten Handflächen an seiner Hose ab. Dann schloss er die Augen.

Jesus, führe meine Hand, während ich dein Werk tue.

Er tauschte seine Baumwollhandschuhe gegen ein Paar eng anliegende Latexhandschuhe und hob das Gewehr an. Legte den Kolben an seine Schulter. Visierte die Zielperson im Fadenkreuz an.

Und wartete.

Es gab keinen Grund zur Eile. Er konnte die Sache aus zweihundert Meter Entfernung erledigen, aber warum nicht warten, bis die Person auf hundert Meter herangekommen war? Je näher das Ziel, desto größer die Chance, dass es mit einem Schuss getan war.

So oder so würde in spätestens drei Minuten die Rechnung beglichen sein. Dann wäre der Gerechtigkeit Genüge getan.

Timing und Geduld waren alles– egal, ob man Tiere jagte oder Menschen.

* * *

Die Hitze stieg in schimmernden Wellen von dem asphaltierten Joggingpfad auf, und die Luftfeuchtigkeit war schon um acht Uhr morgens erdrückend. Mark Sanders spürte, wie ein Rinnsal aus Schweiß zwischen seinen Schulterblättern herunterlief, während ein anderesüber seine Schläfe rann. Ohne seinen Laufrhythmus zu unterbrechen oder langsamer zu werden, neigte er den Kopf und hob den Arm, um sich mit demÄrmel seines T-Shirtsüber die Stirn zu wischen. Es war sehr heiß, aber er hatte schon größere Hitze ausgehalten. Ein schwüler August in St. Louis war auch nicht schlimmer als Afghanistan oder Irak oder Kolumbien. Und hier war es deutlich sicherer.

Allerdings war Sicherheit ein dehnbarer Begriff, und er hielt sie nie für selbstverständlich.