: Amanda Cabot
: Der Sommer, der so viel versprach
: Francke-Buch
: 9783868279139
: 1
: CHF 9.80
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: Erzählende Literatur
: German
: 100
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
In der Wildnis von Wyoming, 1885: Eigentlich hat Abigail Harding ihr Leben gut im Griff. Sie unterrichtet an einer renommierten Mädchenschule und ist so gut wie verlobt. Doch eine spontane Reise zu ihrer Schwester, die als Offiziersgattin in einem Fort in Wyoming lebt und zutiefst unglücklich zu sein scheint, verändert alles. Abigail gerät in einen Strudel von Ereignissen, der nicht nur ihr gesamtes Lebenskonzept und ihre Zukunftspläne infrage stellt, sondern sie auch in Lebensgefahr bringt ...

Amanda Cabot lebt mit ihrem Mann in Wyoming, USA, und machte zunächst als Informatikerin Karriere, bevor sie sich ganz ihrer Leidenschaft fürs Schrei-ben widmete. Ihre Romane waren bereits für zahlreiche Preise nominiert. 'Der Sommer, der so viel versprach' ist ihr erstes Buch, das auf Deutsch erscheint.

Kapitel 2

Fort Laramie war nicht so trostlos, wie Abigail erwartet hatte. Eigentlich war es sogarüberraschend zivilisiert. Da es nicht von Palisaden umgeben war und es keine Tore gab,ähnelte es eher einem Dorf als einer Militäreinrichtung. Wären die Männer in Uniform nicht gewesen, die um den zentralen Platz marschierten, dann hätte Abigail vielleicht geglaubt, es handele sich um eine ganz gewöhnliche Stadt. Aber nichts in Wyoming war gewöhnlich.

Als die Banditen das Weite gesucht hatten, war der Leutnant auf den Kutschbock geklettert, um neben dem Kutscher Platz zu nehmen. Abigail war mit der auffallend stillen Mrs Dunn und den offensichtlich erschütterten Fitzgeralds im Inneren der Kutsche zurückgeblieben. Das Ehepaar klammerte sich aneinander, während Mrs Dunn am anderen Ende der Rückbank kauerte, die Kordeln ihres Pompadours verknotete und etwas murmelte, das wie„alles falsch“ klang. Obwohl Abigail vermutete, dass die Witwe damit den gescheitertenÜberfall meinte, hätte man die Worte auch auf Abigails eigene Reise beziehen können. Was daheim in Vermont noch nach einer guten Idee ausgesehen hatte, schien jetzt vollkommen falsch zu sein. Vielleicht hatte sie sich geirrt. Vielleicht brauchte Charlotte sie gar nicht. Vielleicht hatte Gott gar nicht gewollt, dass sie nach Wyoming reiste.

Abigail wischte ihre Zweifel zur Seite und sah sich um, während sie versuchte, mit Leutnant Bowles Schritt zu halten. Nachdem er dafür gesorgt hatte, dass ein anderer Offizier die Postkutsche bis nach Deadwood begleitete, hatte er darauf bestanden, Abigail zum Haus ihrer Schwester zu begleiten. Zudem hatte er ihr versprochen, dass ihr Koffer später dorthin nachgeliefert werden würde.

„Hier sind Sie in Sicherheit“, beruhigte er sie.

Obwohl Abigail davonüberzeugt war, dass sie sich erst wieder sicher fühlen würde, wenn sie nach Vermont zurückgekehrt wäre, war sie erleichtert, dass Charlottes Haus nicht in der kahlen, baumlosen Prärie stand, die sie gerade durchquert hatte. Obwohl niemand in Fort Laramie den Ausdruck„Wald“ benutzen würde, gab es ein paar Bäume. Eine Ansammlung von Pappeln wuchs neben dem Fluss, andere Bäume säumten drei Seiten des zentralen Platzes, von dem ihr der Leutnant berichtet hatte, dass es sich um den Paradeplatz handelte; wiederum andere schmückten die Vorgärten von Häusern, deren Veranden und Giebel sie unerwartet attraktiv machten. Ganz zu schweigen von den gepflegten Palisaden. Und obwohl der Paradeplatz eindeutig für militärischeÜbungen gedacht war, hatte man in den Ecken etwas eingebaut, bei dem es sich, wie der Leutnant erklärt hatte, um Vogelbäder handelte. Die flachen, mit Zement ausgekleideten Bassins von gut einem Meter Durchmesser waren mit Ziegelsteinen eingefasst und dienten– der Zahl der Vögel nach zu urteilen, die daraus tranken– einem wichtigen Zweck.

Wer hätte gedacht, dass ein Fort der Armee so einladend wirken konnte? Weiß getünchte Gebäude, Bürgersteige, Straßenbeleuchtung, ja sogar gepflegter Rasen. Das war mehr, als Abigail für möglich gehalten hätte.

Sie schnappte nach Luft. Leutnant Bowles–nein, Ethan, korrigierte sie sich. Er hatte darauf bestanden, dass sie ihn Ethan nannte, und sie hatte ihm ebenfalls erlaubt, ihren Vornamen zu benutzen. Ethan legte ein ordentliches Tempo vor. Vielleicht hatte er vergessen, dass sie sich erst noch an das andere Klima gewöhnen musste. In der gleißenden Sonne, bei dem trockenen Wind und in der ungewohnten Höhe war es Abigail unmöglich, sich in ihrer normalen Geschwindigkeit fortzubewegen, ohne zu keuchen oder, noch schlimmer, sich einer Ohnmacht nahe zu fühlen. Im Gegensatz zu Mrs Dunn und Mrs Fitzgerald wurde Abigail niemals ohnmächtig.

„Jeffrey hat nicht erwähnt, dass er und Charlotte Besuch erwarten“, sagte Ethan, als sie um die Ecke bogen. Seine Augenbrauen warenüberrascht in die Höhe geschnellt, als sie ihm den Ehenamen ihrer Schwester genannt hatte. Neidisch bemerkte Abigail, dass seine Stimme nicht die geringste Spur der Atemnot enthielt, die sie plagte.

Er stampfte mit dem Fuß auf den hölzernen Gehweg und verjagte dadurch das kleine Rudel Hunde, das ihnen mittlerweile folgte. Das war ein weiterer Unterschied zu Vermont. Während Abigail zu Hause gelegentlich den einen oder anderen Hund hatte frei herumlaufen sehen, war sie noch nie einem ganzen Rudel offensichtlich wilder Hunde begegnet. Aber der Leutnant wollte nichtüber die Zahl der Hunde, die im Fort lebten, sprechen. Er hatte nach Jeffrey und Charlotte gefrag