Kapitel 1
Evan Cooper hatte Frühschichten noch nie gemocht.
In seinen vier Jahren im Hostage Rescue Team des FBI, der Geiselbefreiungstruppe, hatte er schon einiges an Nachtschichten hinter sich gebracht. Die waren in Ordnung. Er würde viel lieber bis Sonnenaufgang aufbleiben, als von diesem derben Alarmruf unsanft geweckt zu werden. Ganz besonders an einem Samstagmorgen nach einer durchgefeierten Nacht.
Mit verhaltenem Stöhnen wühlte er auf seinem Nachttisch herum, bis sich seine Finger um seinen BlackBerry schlossen. Als er den durchdringenden Lärm abgestellt hatte, blinzelte er im Dunkeln zu seiner Uhr hin und zwang seinen verschwommenen Blick, sich zu klären. Laut der LED-Anzeige war es vier Uhr morgens. Zwei Stunden Schlaf.
Zu wenig.
Resigniert rief Coop die eingegangene Nachricht auf. Normalerweise hätte er schon längst einen Adrenalinstoß im Nachdenken darüber bekommen, welche Krise wohl so hochgekocht sei, dass die beste zivile Elitekampftruppe der Nation hinzugezogen wurde. Aber in seinem derzeitigen Zustand rief die Adresszeile in seinem schlafvernebelten Gehirn nicht mehr als milde Neugierde hervor. Warum war die Nachricht an ihn alleine gerichtet und nicht– wie sonstüblich– an das gesamte Team? Mit zusammengekniffenen Augen las Coop im Dunkeln die Anweisung von Les Coplin, dem Chef des HRT.
Wir treffen uns in Quantico. Sofort.
Keinerlei Erklärung. Kein Hinweis darauf, warum dieses Treffen nicht zu einer anständigeren Zeit stattfinden konnte. Nur eine Aufforderung.
Mit anderen Worten, typisch Les.
Nach vier Jahren dieser Dressur schaltete Coop einfach auf Autopilot. Und schon 30 Minuten später tappte er im grellbeleuchteten Flur auf das Büro los, ohne sich so richtig daran erinnern zu können, wie er sich angezogen hatte, nach Quantico gefahren war, die Sicherheitskontrolle passiert oder sein Auto geparkt hatte.
Schon fast beängstigend war das.
„Du siehst in etwa so wach aus, wie ich mich fühle.“
Coop drehte sich auf diese ironische Bemerkung hin um. Mark Sanders schloss mit ein paar großen Schritten zu ihm auf und fiel neben ihm in Gleichschritt.
„Ein Bierchen zu viel letzte Nacht?“, erkundigte sich Mark.
„Mindestens eins.“ Coop hielt es für sinnlos, das Offensichtliche zu leugnen. Mark hatte den Großteil des Abends mit ihm verbracht.„Ich nehme an, du hast auch eine Nachricht erhalten?“
„Ja.“ Er sah sich im menschenleeren Flur um.„Sieht aus, als wären es nur wir beide, Kumpel. Ein Zwei-Mann-Job. Könnte interessant werden.“
Vielleicht, stimmte Coop innerlich zu.Wenn ich dann wach bin.
„Wie kommt’s, dass du so munter bist?“ Coop sah misstrauisch zu Mark hinüber. Die beiden waren oft gemeinsam unterwegs, wenn der Auftrag einen Partner erforderte, und das hatte im Lauf der Zeit zu einer echten Freundschaft geführt.„Du hast bestimmt so viel getrunken wie ich.“
„Ich habe auf dem Weg hierher bei der Imbissbude auf einen Kaffee angehalten.“
„Clever.“
„Dachte ich auch.“ Marks Mund verzog sich zu einem Lächeln.„Hey, vielleicht hat Les ja Mitleid mit dir und bietet dir etwas von seinem ganz speziellen Gebräu an.“
Das motorenöldicke Gepantschte des Chefs galt als legendär– und wurde allgemein gefürchtet.„Heute würde ich drauf zurückkommen.“
„Wow!“ Marks Augenbrauen hoben sich fragend.„Mann, dann musst du ja’neüble Nacht gehabt haben! Oder du wirst langsam alt.“
„Herzlichen Dank, Kumpel.“ Aber tatsächlich spürte Coop am heutigen Morgen jedes einzelne seiner 38 Lebensjahre.
Mark hielt vor Les’ Büro an und klopfte Coop mit leisem Lachen auf den Rücken.„Wozu sind Freunde denn da?“ Er hob seine Hand, um anzuklopfen, erstarrte aber, als eine rüde Stimme durch die Türe bellte.
„Steht nicht nur dumm rum. Kommt rein!“
Mark verdrehte die Augen, stieß die Türe auf und trat zur Seite, um Coop als